Bäuerinnen und Bauern - das Herz der Bewegung

Als ich im Januar 2011 mit einer Freundin nachts durch die nasskalten Berliner Straßen zog, um für die erste „Wir haben es satt!“-Demonstration Plakate zu kleben, war noch niemanden klar, wie sich dieser Versuch, eine agrarpolitische Großdemonstration zu veranstalten, entwickeln würde. Die Botschaften auf den Postern waren schon damals deutlich: „Für eine bäuerliche und ökologischere Landwirtschaft, gegen Gentechnik, Dumpingexporte und Tierfabriken!“ Da ich in der jungen AbL aktiv war, wusste ich, dass auch einige Bäuerinnen und Bauern den Weg mit ihren Traktoren nach Berlin auf sich nehmen würden. Sie sollten den städtischen Demozug anführen. Und das war gut so. Denn schon damals war klar, die Bäuerinnen und Bauern sind das Herzstück dieser Demonstration. Sollten sie nicht kommen, würde es uns nicht gelingen, eine authentische Bewegung für Veränderungen in der Landwirtschaft und Agrarpolitik aufzubauen.

Die Bäuerinnen und Bauern sind gekommen und die „Wir haben Agrarindustrie satt!“-Demonstration hat sich zu einer vielfältigen und ausdauernden Bewegung entwickelt. Am 19.01.2019 rufen wir zur neunten Demo auf, nah dran am Jubiläum – das ist bemerkenswert und macht mich stolz. Einiges ist über die Jahre professioneller geworden. Der Treckersammelpunkt am Vorabend der Demo auf dem StadtGut Blankenfelde gleicht nicht mehr einer zugigen Ruine, das nun beheizbare Demoorganisationsbüro ist zentral in Berlin Mitte gelegen und auch das nächtliche Plakate kleben müssen wir nicht mehr komplett selbst in die Hand nehmen. Und trotzdem stelle ich mir regelmäßig die Frage, warum wir das alles jeden Winter erneut auf uns nehmen? Dann schaue ich mich um und stelle fest, dass die Diskussion um die Zukunft unserer Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion in allen Bereichen des Lebens in vollem Gange ist. Über unsere Bildschirme flimmern die Stalleinbruchsbilder der selbsternannten Tierrechtler genauso wie spannenden Reportagen über Existenzgründer in der Landwirtschaft. Der Handel interessiert sich auf einmal für Tierwohl und immer mehr Menschen suchen nach handwerklich produzierten Lebensmitteln. Bäuerinnen und Bauern sind bereit für Veränderungen auf dem Acker und im Stall. Die Politik scheint sich von all dem wenig berühren zu lassen. Geradezu stoisch verweigert sie jede Form von Veränderung – und das nach diesem Hitzesommer, in dem die Landwirte zum einen als Mitverursacher an den Pranger gestellt wurden und gleichzeitig sind sie in ihrem täglichen Handeln am stärksten mit den extremen Witterungen konfrontiert. Es scheint nichts naheliegender als unser Landwirtschaftssystem, aber auch unsere Ernährungsgewohnheiten genauer anzuschauen und hier nach klimaschonenden Lösungen zu suchen, statt sich auf das Lindern von Symptomen zu beschränken.

Klar ist, dass viele Menschen zum Thema Landwirtschaft etwas beizutragen haben und jeder hat seine eigene Wahrheit. Es gibt gute Ideen, aber auch viel skurrile, praxisferne Vorschläge. Trotzdem: der Wunsch der Gesellschaft nach einer gesunden Ernährung, der Förderung regionaler Strukturen und einer artgerechten Tierhaltung ist da. Jetzt muss es darum gehen alle Ansätze zusammen zu bringen und die Bäuerinnen und Bauern bei den anstehenden Veränderungen mitzunehmen. Die AbL macht mit ihrem Punktesystem zur bevorstehenden EU-Agrarreform einen konkreten Vorschlag, wie ein gesellschaftlich akzeptierter Weg für eine bäuerliche Landwirtschaft mit mehr Ökologie und mehr artgerechterer Tierhaltung angegangen werden kann.

Nun kommt es auf die Politik an, diese Vorschläge aufzugreifen und gemeinsam mit der Landwirtschaft und dem Handel praxistaugliche Lösungen zu erarbeiten und politische Anreize zu setzen. Mit der bevorstehen EU Agrarreform liegt eine große Chance greifbar nahe.

Deshalb ist es auch im neunten Jahr in Folge wieder wichtig, dass vor allem die Bäuerinnen und Bauern das Bündnis „Meine Landwirtschaft“ als wertvollen Partner ansehen und sich auch auf der Straße für eine bäuerliche, ökologischere Landwirtschaft stark machen. Nicht zuletzt auch deswegen, weil es gerade in Zeiten des Erstarkens rechter Strömungen von besonderer Bedeutung ist, in Bündnissen wie dem unseren ein Zeichen des „Wir“ anstatt des „Ich“ zu setzen, auch international! Lasst uns keine Berührungsängste haben, sondern bereit sein für gemeinsame Veränderung: Kommt mit euren Traktoren am 19. Januar 2019 nach Berlin!


Dieser Text erschien zuerst in der Unabhängigen Bauernstimme. Er wurde von Regine Holloh, stellvertretende Leitung von Meine Landwirtschaft, verfasst.


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