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„Der Austausch ist sehr wertvoll“

Es ist 8:00 Uhr morgens und ein üppig gedeckter Frühstückstisch steht vor uns. Die Familie – Christoph, der mit Ende 20 den Betrieb übernommen hat, und seine Eltern – haben wir bereits am Vorabend kennengelernt und wurden herzlich aufgenommen. Auch die Oma kommt noch dazu: ein richtig schönes Familienfrühstück (Hafermilch steht immer auf dem Tisch). Christoph ist schon seit 4:30 Uhr wach und war auf den Feldern unterwegs.

Kerstin und ich hatten uns gemeinsam bei „Hof mit Zukunft“ angemeldet – wir mögen den direkten Austausch und wollten den Alltag auf einem Betrieb miterleben. Wir sind beide im Umwelt- und Klimaschutz aktiv, unter anderem beim BUND und der BUNDjugend. Kerstin hat früher als Ernteteilerin viel in ihrer damaligen SoLaWi mitgegärtnert, ich war bisher eher auf kleineren Gemüsebaubetrieben, wo vieles von Hand gemacht wird. Diesmal wollten wir gezielt etwas Neues lernen – darum hatten wir uns bei der Anmeldung auf Betriebe konzentriert, die Getreide und andere Feldfrüchte anbauen.

„Wir versuchen hier, so viel wie möglich mit den Maschinen und möglichst wenig mit den Händen zu machen“, meint Christoph daraufhin lachend.

Der Hof – bzw. die Giere GbR – ist ein konventioneller Betrieb mit Flächen in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt, insgesamt etwa 800 ha. Schon am ersten Abend machten wir einen Spaziergang über die Felder: Weizen, Gerste, Kartoffeln, Rüben. Die früh gepflanzten Kartoffeln blühen bereits. Am Eingang zum Hof hängt ein „Kreuz für Vielfalt, ohne Haken“, wie an vielen Nachbarhäusern auch – ein Zeichen der Initiative „Beherzt“ – in der Region gibt es auch völkische Siedlungen.

Am Freitag brechen wir nach dem Frühstück auf und teilen uns auf: Kerstin fährt mit Christoph und der Spritze auf die Kartoffeläcker, ich begleite die Auszubildende Rike mit dem Wender auf die Grünlandflächen. Der Beifahrersitz ist etwas wackelig auf dem holprigen Untergrund, aber der Ausblick ist gut – ich kann auch Kerstin und Christoph in der Ferne beobachten, sowie einige Rotmilane, die über dem frisch gewendeten Heu kreisen. Einer erwischt eine aufgescheuchte Wühlmaus.

Rike ist in ihrer Berufsschulklasse eine von drei Frauen, auf dem Betrieb die einzige. Das stört sie aber nicht – auf dem Hof habe es noch nie blöde Sprüche gegeben. Sie muss während ihrer Ausbildung auf verschiedenen Betrieben arbeiten. Auf Hof Giere ist sie nun fast ein Jahr. Zuvor war sie auf einem Milchviehbetrieb – sie vermisst die Arbeit mit den Tieren ein wenig.

Gleichzeitig erzählt sie von Situationen, die sie als beängstigend erlebt hat: Wenn Tiere aus unterschiedlichen Gründen in Panik geraten, kann es schnell gefährlich werden und Kontrolle schwierig sein.

Ackerbau ist aber nicht automatisch einfacher: Nach einigen Bahnen hören wir plötzlich ein starkes Klackern – am Wender fehlt eine Schraube, zwei Teile schlagen bei jeder Drehung gegeneinander. Rike reagiert souverän, probiert es erst mit dem Werkzeug aus dem Traktor. Als das nicht funktioniert, fahren wir zurück auf den Hof. Zwei Mitarbeiter helfen sofort: der eine unter dem Wender liegend, der andere darüber gebeugt. Gemeinsam bringen sie die passende Schraube an.

Wir fahren wieder los, das Klackern ist verschwunden. Rike zeigt mir auf ihrem Tablet, das alle Mitarbeitenden auf der Fahrt dabeihaben, die verschiedenen Flächen. Jede Maschinenfahrt lässt sich im Büro nachvollziehen – ob auf dem Feld oder auch die Wege zu den Flächen in Sachsen-Anhalt.

Wir sprechen auch über die landwirtschaftlichen Proteste in den letzten zwei Jahren. In der Region war viel los, von fast jedem Nachbarbetrieb waren Leute auf der Straße. Es hatte etwas Verbindendes. Wütend habe sie gemacht, wenn dann gesagt wurde: „Wenn die Zeit haben zu protestieren, arbeiten sie wohl nicht genug.“

Ich fühle mich an die Klimabewegung erinnert: Keine Demo, keine Aktion, wo nicht der Vorwurf kam – oft von Menschen, die gerade auf einem Einkaufsbummel unterwegs waren –, wir wären faule Aktivist*innen. Dabei studieren viele in Vollzeit, arbeiten und engagieren sich ehrenamtlich. Wenn man bis zu 60 Stunden die Woche arbeitet und dann noch für faire Bedingungen demonstriert, tut so ein Vorwurf besonders weh.

Zurück auf dem Feld frage ich Rike nach dem Umgang mit Rehkitzen. Vor der Mahd fliegt eine Drohne mit Wärmebild über die Flächen. Die Aufnahmen sind in Schwarz-Weiß – alles Warme erscheint hell. Das sind nicht nur Kitze, auch frische Maulwurfshügel. Wer sich auskennt, kann gut unterscheiden, ob es sich um ein Tier handelt, und wenn ja, um welches.

An dem Tag ist etwas der Wurm drin – der Wender hat erneut ein Problem. Später begleiten wir Christoph, der eine Beregnung repariert: Ein Mitarbeiter wollte sie umsetzen, dabei ist sie vorne halb auseinandergebrochen. Christoph lädt Motor und Schweißgerät auf die Schaufel des Traktors und schweißt direkt auf dem Feld das Nötigste.

Er entschuldigt sich, dass er dieses Jahr weniger Zeit habe – letztes Jahr sei das entspannter gewesen, da hatte er bereits bei „Hof mit Zukunft“ mitgemacht. Aber Kerstin und ich finden es spannend, auch mitzubekommen, wenn etwas schiefläuft. Wir sind beeindruckt, wie schnell auf dem Hof alles wieder funktionstüchtig gemacht wird.

Am Samstag dürfen wir Christophs Cousin Robert bei der Wartung des Mähdreschers zuschauen. Eine gigantische Maschine – das Führerhaus wirkt wie ein Cockpit. Robert kann alle Funktionen im Detail aufzeigen. Obwohl vieles automatisiert ist, kennt er die Maschinen genau.

Wir werden überall mit hingenommen: auf die Felder, zu den Maschinen, an den Esstisch, ins Büro. Dort gibt uns Christophs Vater Hans-Wilhelm Einblicke in die umfangreichen Unterlagen. Er kann über Jahrzehnte einsehen, wo wie viel Wasser beregnet wurde, was gespritzt, was angebaut wurde. Auch die betriebseigenen Windkraftanlagen zeigt er uns am PC. Diese sind ein wichtiges zweites Standbein. Batcorder überwachen Fledermausvorkommen – bei Aktivität schalten sich die Anlagen automatisch ab.

Ich wusste, dass Bürokratie in der Landwirtschaft ein Thema ist, aber nicht, in welchem Ausmaß. Besonders auf einem großen Betrieb ist der Verwaltungsaufwand enorm.

Sowohl Hans-Wilhelm als auch Christoph waren extrem offen, z. B. beim Thema Pflanzenschutz. Ich sehe den Einsatz von Pestiziden sehr kritisch, kaufe meist bio und regional. Trotzdem konnten wir auf Augenhöhe sprechen, uns austauschen – über politische Rahmenbedingungen, fehlende Planbarkeit, unterschiedliche Regelungen in Bundesländern und über Nachbarbetriebe, die aufgeben müssen, auch Biohöfe.

Christoph war vor zwei Jahren mit den Junglandwirt*innen auf der „Wir haben es satt!“-Demo in Berlin. Seitdem überzeugt er andere Betriebe, bei „Hof mit Zukunft“ mitzumachen. „Man muss keine Angst haben“, sagt er, „der Austausch ist sehr wertvoll.“

Und das kann ich nur bestätigen. Landwirtschaft wird oft entweder idealisiert (kleine Höfe mit glücklichen Tieren) oder verteufelt (große Maschinen, die alles kaputt machen). Beides sind entfremdete Bilder. In erster Linie produzieren Landwirt*innen unsere Lebensmittel. Und wir wissen darüber viel zu wenig.

Ich wünsche mir eine Landwirtschaft, die naturverträglicher und klimafreundlicher ist. Das braucht auch gute politische Rahmenbedingungen – und mehr Bewusstsein bei uns Konsument*innen. Wissen über Landwirtschaft in der Kita, in der Schule, an der Uni vermittelt werden.

Dass wir mehrere Tage dabei sein durften, mitarbeiten konnten, die Offenheit der Familie und das gegenseitige Interesse – all das hat mir viel mitgegeben. Ich würde jederzeit wieder bei „Hof mit Zukunft“ mitmachen und kann es allen sehr empfehlen.


Ena ist aktiv beim BUND und war gemeinsam mit Kerstin (auch BUND) auf dem Hof Giere in Niedersachsen.

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