„Ihr müsst mich jetzt fragen, warum ich keinen Biohof habe“
„Hof mit Zukunft“ auf dem Hortingshof
„Dann sind wir ja Aktivisten unter sich“, bemerkte Bauer Josef, als wir mit dem Auto Richtung Hortingshof fuhren. Dass die Fronten zwischen Bäuer*innen und Klimaschützer*innen nicht ganz so verhärtet sind, wie es im öffentlichen Diskurs manchmal scheint, zeigte sich schon auf der kurzen Autofahrt vom Bahnhof. Josef und seine Frau Elke, die uns für vier Tage auf ihren Hof eingeladen hatten, sehen durchaus Handlungsbedarf in der Landwirtschaft, wenn es um den Kampf gegen den Klimawandel geht, und denken Nachhaltigkeit in ihrer täglichen Arbeit mit.
Wir drei – Johanna, Beccy und Franzi – sehen diesen Handlungsbedarf auch und hatten uns bei „Hof mit Zukunft“ angemeldet, um ein Wochenende lang den Alltag auf einem Bauernhof kennenzulernen, mehr über die Landwirtschaft zu erfahren und darüber zu diskutieren, welche Rolle die Landwirtschaft bei Themen wie Biodiversität, Klimaanpassung und Minderung von Emissionen spielt – oder spielen könnte. Einige von uns hatten vorher schon kleinere Berührungspunkte mit der Landwirtschaft, aber so richtig eine Vorstellung davon, wie so ein Milchviehbetrieb arbeitet, hatten wir eigentlich nicht. Das hat sich in den vier Tagen auf jeden Fall geändert.
Angekommen auf dem Hof, wurden also erstmal die Gummistiefel ausgepackt und schon standen wir mittendrin im Kuhstall. Die erste Aufgabe lautete: Kuh Lucy zum Melkroboter bringen. Der Hof, der seit vielen Generationen von der Familie Pruys bewirtschaftet wird, ist durchaus modern aufgestellt: Neben einem Melkroboter, in den die Kühe rund um die Uhr zum Melken gehen können, gab es einen Futtermischwagen, der mit anderen Höfen geteilt wird und morgens zum Füttern der Kühe kam, einen „Scheiße-Roboter“, der die Kuhscheiße im Stall wegschiebt, und mehrere PV-Anlagen auf den Dächern. „Was gibt es da noch zu tun im Stall?“, mag man sich fragen. Eine ganze Menge, aber dazu später mehr!
Jetzt standen wir also vor der 700 kg schweren Kuh, die zum Melken einmal quer durch den Laufstall gehen sollte, sich aber keinen Schritt bewegte. „Dafür braucht ihr einen ‚Meinungsverstärker‘“, sagt Josef und drückt uns einen Plastikstock in die Hand. Mit Hilfe dieser praktischen “Armverlängerung“ war es möglich, den Kühen sanft, aber bestimmt den Weg zum Melkroboter zu weisen. Nachdem alle Kühe gemolken waren, dachten wir schon für einen kurzen Moment, das Tagwerk sei damit schon getan, aber nein, weiter ging es mit dem Füttern der Rinder, also der Kühe, die noch nie gekalbt haben. Das gemähte Gras musste mit dem Trecker geholt werden, das Futter aus den Silagen vorbereitet werden, die Ställe wurden neu eingestreut und zwischendurch wurde immer wieder gefegt und gefegt und nochmal gefegt.
„Ich habe zwei Dinge, die ich an diesem Wochenende unbedingt machen will: Kuhnasen streicheln und mit dem größten Traktor fahren, den ihr hier habt“, hatte Johanna schon auf dem Weg zum Hof verkündet. Ersteres war bereits erfolgreich abgehakt und bei einbrechender Dunkelheit saßen wir dann auch schon hinter dem Lenkrad eines Traktors und versuchten mit den sporadischen Erklärungen („Ja, einfach mal die Kupplung kommen lassen und dann langsam losfahren“) und den wichtigen Hinweisen für die Mitfahrerinnen („Jetzt gut festhalten“) den Traktor nicht gegen die Stallwand zu fahren. Im Schritttempo fuhren wir vorbei an Hecken, Bäumen und Sträucher, die die Familie, wie sie selbst sagte, „vergessen" hatte, zu entfernen. Aus heutiger Sicht natürlich positiv, vor allem für die Artenvielfalt.
In unseren Gesprächen wurde auch klar: Josef will seinen Beitrag zu einer klimaschonenden Landwirtschaft leisten, aber dafür gibt es aktuell kaum finanzielle Anreize, im Gegenteil, er verzichtet dafür auf Fläche und damit auch auf Umsatz. Die Grauzone zwischen konventionell und Bio ist ziemlich groß und es gibt eben keine 80 % Bio. „Ihr müsst mich jetzt fragen, warum ich keinen Biohof habe“, will Josef etwas Kontroverse in unsere Diskussion bringen. Ganz ohne Pestizide und Dünger geht es bei den „schweren Böden“ in der Region nicht. Klingt einleuchtend, ist aber, wie manche andere Punkte auch, für uns ohne Fachwissen und die nötige Erfahrung schwer einzuordnen. Immerhin hat die Molkerei, die der Hof beliefert, eine Nachhaltigkeitsstrategie, die entsprechende Anreize setzt, so wird z. B. auf dem Hof gentechnikfreies Futter verwendet und der Strom aus der eigenen PV-Anlage bezogen.
Unsere Diskussionen drehen sich oft auch um globale Probleme der Landwirtschaft, wie z. B. dass Tierfutter und Lebensmittel um die halbe Welt transportiert werden und dann trotzdem billiger sind als regionale Produkte. Alles wichtige Punkte bei der Frage, wie Ernährung und Klimaschutz zusammenpassen. Widersprechen müssen wir bei dem Argument, dass der Sojakonsum von vegetarisch oder vegan lebenden Menschen maßgeblich zum Anbau von Monokulturen und so auch zur Zerstörung des Regenwaldes, z. B. in Südamerika, beiträgt. Nur etwa 7 % der weltweiten Sojaproduktion werden für den menschlichen Konsum angebaut, 77 % werden dagegen an Nutztiere zur Fleisch- und Milchproduktion verfüttert und der Rest wird für Biokraftstoffe, Industrie oder Pflanzenöle verwendet. Beim Thema Lebensmittelverschwendung waren wir uns dann allerdings alle wieder einig und beklagten uns über die riesigen Mengen an Lebensmitteln, die in Deutschland jährlich in der Mülltonne landen. Ein Problem, das dringend angegangen werden muss – von der Politik, den Supermärkten und den Konsument*innen.
Und so rauchte uns schon am ersten Abend der Kopf von den vielen neuen Eindrücken und die Füße merkten wir auch langsam, als wir weit nach 23 Uhr ins Bett fielen. Früh raus hingegen mussten wir am nächsten Morgen nicht und saßen um 8 Uhr gemeinsam beim Frühstück.
„Wie oft wirst du eigentlich gefragt, warum du den Hof nicht übernehmen wirst?“, fragen wir Daniel, während wir die Liegeplätze im Kuhstall mit einer Mischung aus Stroh, Pferdemist, Kalk und Wasser neu einstreuen. Neben seiner Arbeit hilft er seinen Eltern regelmäßig bei der Arbeit auf dem Hof. „Oft!“ – die Antwort kommt prompt. Für ihn ist klar, und das merken wir schon am ersten Tag: Landwirt ist ein Job mit viel Verantwortung, harter Arbeit und quasi keinem freien Tag. Dafür muss man gemacht sein. Bei Josef merkt man, was seine Frau damit meint, wenn sie sagt, dass sei seine Berufung. Irgendwie kommt man sich auch doof vor, wenn man fragt, wann sie in Urlaub fahren oder was passiert, wenn sie krank sind, für uns schließlich ganz normale Dinge. Auf dem Hof aber nicht ohne weiteres möglich. Schon seit einigen Jahren sucht die Familie eine außerfamiliäre Hofnachfolge. Neben den ganzen Mühen muss man auch die Kosten für so einen Hof mit Ställen, Maschinen und Flächen aufbringen können. Wer heutzutage so einen Hof mit Acker- und Grünland kauft, kann diese Kosten nicht mehr in seiner Lebenszeit erwirtschaften.
Mittags fahren wir gemeinsam zu einer Fläche des Naturschutzbundes Deutschland in der Nähe des Hofes, die im Rahmen eines EU-geförderten Projektes zur Verbesserung der Lebensbedingungen von Wiesenbrütern unter Schutz gestellt wurde. Anhand der Fläche erklärt uns Josef auch die Konfliktlinien zwischen Landwirt*innen und Umweltschützer*innen in der Region. Die Fläche wurde vom NABU gekauft, damit Wiesenbrüter dort ihren Nachwuchs aufziehen können, zum Unmut mancher Landwirt*innen. Denn Umweltschutz und Landwirtschaft konkurrieren hier um Flächen. Die Landwirt*innen befürchten außerdem, dass durch die zusätzlichen Vögel weitere Auflagen für ihre eigenen Flächen entstehen könnten.
Josef ist in der regionalen Fridays for Future-Gruppe aktiv, als Landwirt ist er da aber die Ausnahme. Auch sonst erleben wir ihn als durchaus engagiert, er fragt an der örtlichen Hochschule nach Kooperationsmöglichkeiten mit den dortigen Agrarstudierenden, nimmt an Diskussionsveranstaltungen teil und bringt sich in Verbänden und Lokalpolitik ein. Als wir ihn auf den Deutschen Bauernverband ansprechen, sagt er, natürlich sei er da Mitglied, denn wenn man etwas verändern wolle, müsse man sich einbringen, auch wenn dieser natürlich vor allem die Großbetriebe unterstütze.
Nach der Zeit bei Familie Pruys sind wir beeindruckt, wie sehr sich Josef in die verschiedenen Gruppen einbringt und für gegenseitiges Verständnis wirbt. Dass wir in der deutschen Klimagerechtigkeitsbewegung mehr aus der akademischen und urbanen Blase herauskommen müssen, ist schon lange klar. Trotzdem ist Klimaaktivismus immernoch vor allem städtisch geprägt und gerade die Probleme des ländlichen Raums werden dabei zu wenig beachtet. Denn wenn wir ehrlich sind, hatten wir uns vor diesem Wochenende noch keine Gedanken zu Themen wie Flächennutzung von Grün- oder Ackerland gemacht. Es braucht mehr Austausch mit Menschen, deren Alltag und Lebensrealität vielleicht ganz anders aussieht als unsere, aber mit denen wir gemeinsame Ziele und Werte teilen – und dafür ist „ Hof mit Zukunft“ ein sehr guter Ansatz!
Franziska Fischer (27), Johanna von Oy (30) und Rebecca Rechenberg (27) nahmen vom 13. bis 16. Juni 2024 am immersiven Dialogformat "Hof mit Zukunft" des "Wir haben es satt!"-Bündnisses teil. Sie engagieren sich bei Ende Gelände, Fridays for Future, Foodsharing, Solarcamp for Future und Bits & Bäume.
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