Landwirtschaft in Zeiten von Corona

Wir alle sind in einer Ausnahmesituation, auch auf den Höfen

Wie wollen wir damit umgehen, wenn jetzt bestimmte Produkte knapp werden, wir aber als Gesellschaft wissen, dass ein kurzfristiger Schutz vor der Ausbreitung des Corona-Virus am besten zu bewerkstelligen ist, wenn sich Menschen und Produkte nicht ständig von Region zu Region bewegen? In unserer Region wird eine ganze Palette von Produkten schon lange nicht mehr angebaut, weil die Weiterverarbeitung fehlt – Obst, Gemüse, Hackfrüchte wie die Kartoffel. Deutschland baut nur 27 Prozent des eigenen Gemüsebedarfs an, weil Gemüseanbau händische Arbeit bedeutet, oft einen hohen Einsatz an Pflanzenschutzmitteln und alles das viel billiger und mit viel weniger Auflagen im Ausland umgesetzt werden kann. Wir haben uns ein System geschaffen, in dem alles das einfach importiert wird, wenn es die kurzfristigen Gewinne steigert. Diese Ausbeutungsstrukturen betreffen jetzt schon die marginalisierten Arbeiter*innen, die in Südspanien für einen Großteil der europäischen Gemüseproduktion auch für deutsche Supermarktregale arbeiten. Durch die Corona-Krise steigt der Arbeitsdruck auf sie gerade ins Unermessliche, es wird von Arbeitstagen von weit über 15 Stunden berichtet. Arbeitsschutz durch einzuhaltende Abstände und Schutzmasken gibt es auch für die in den Packhallen Tätigen nicht. Werden sie krank, könnte unsere seit Jahren fehlende Solidarität im Warenfluss auch Auswirkungen auf uns haben. Auch die Ausfälle, die es in den heimischen Sonderkulturen aufgrund von nicht verfügbaren (billigen) Saisonarbeiter*innen aus dem Ausland geben wird, werden unsere Region stark treffen. Wie sollen wir als regionale LandwirtInnen nun schnell Strukturen schaffen, die sicherstellen, dass unsere Region versorgt ist? Das aber ist unsere Aufgabe, die wir mit Stolz und Leidenschaft erfüllen wollen und werden.
 

Regionale Landwirtschaft

Wir müssen versuchen sicherzustellen, dass auch in einer möglichen Krisensituation alle Menschen in der Bevölkerung Zugang nicht nur zu haltbaren Trockenwaren haben, sondern ebenso zu vitaminreichen frischen Produkten. Diese liefern neben den überlebenswichtigen Kalorien auch die lebenswichtige Immunkraft, die wir mehr denn je brauchen. Sollten Importe ausfallen, werden diese Produkte knapp und es wird zuallererst die ärmeren Bevölkerungsgruppen treffen, die den Zugang dazu verlieren. Wir müssen diskutieren, wie wir sicherstellen, dass wir nicht nur profitorientiert entscheiden, wer was bekommt, sondern Strukturen schaffen, die auch auf Solidarität basieren. Spätestens jetzt angesichts der Covid-19-Pandemie muss klar werden, wie wichtig die regionale Landwirtschaft ist. Die Krise muss zum Anlass genommen werden, kurzfristig sicherzustellen, dass Betrieben alle notwendigen Mittel zur Verfügung gestellt werden, um weiter zu existieren und zu arbeiten. Dies muss auch durch gesicherte Abnahmepreise umgesetzt werden sowie durch eine Schaffung von Weiterverarbeitungs- und Verteilstationen. TransportfahrerInnen und VerkäuferInnen, die sich um die Distribution bemühen, müssen ordentlich entlohnt werden. Sie gehören ebenso wie die in der Reinigung, bei den Rettungsdiensten, in der medizinischen Versorgung und vielen anderen Bereichen Arbeitenden zu denen, die dafür sorgen, dass wir alle durch diese schweren Zeiten kommen werden. Langfristig muss klar werden, dass es regionale Wertschöpfung ist, die uns alle schützt. Es muss verstanden werden, dass die Grundlage unserer Ernährung, die landwirtschaftlichen Böden in die Hände von regionalen BäuerInnen gehören und nicht in die Hände von InvestorInnen und überregionalen oder nicht-landwirtschaftlichen Unternehmen.
 

Solidarisch agieren

Wir brauchen ein agrarstrukturelles Leitbild und daraus folgende Konsequenzen, die dazu führen, dass eine Vielzahl junger, nachhaltiger und mittlerer Betriebe in unserer Region entstehen können. Wir brauchen eine gezielte Förderung für Ausbildungen im weiterverarbeitenden Lebensmittelhandwerk und Schaffung einer Vielzahl von Betrieben auch in diesem nachgelagerten Sektor. Es kann nicht sein, dass ein Fehlen für ganze Produktarten in der Weiterverarbeitung dazu führt, dass sie in der Region kaum noch auf dem Acker vorkommen. Es kann auch nicht sein, dass die Marktmacht von wenigen Molkereien oder Schlachtbetrieben dazu führt, dass die Versorgung der Bevölkerung im Zweifelsfall nicht sichergestellt ist oder die Landwirt*innen durch den aus der Konzentration resultierenden Preisdruck am Rande ihrer Existenz agieren. Ebenso, wie wir lokal agieren und global denken müssen, müssen wir es jetzt bei dem Ausbruch dieser bedrohlichen Erkrankung schaffen, kurzfristig und langfristig solidarisch zu agieren. Langfristig heißt, die Strukturfrage zu stellen und konkret anzugehen. Ansonsten wird es dabei bleiben, dass der Ausbruch von Covid-19 als isoliertes Geschehen behandelt und gesehen wird. Wir werden den Schmerz von Verlust und Trauer ertragen, wir werden im besten Fall gut aufeinander achtgeben und danach wird politisch und medial zum unspektakulären Alltag der Ungerechtigkeit zurückgekehrt – bis zur nächsten Katastrophe. Kurzfristig heißt, zu sehen, wie wir uns nun als Gemeinschaft verhalten können. In Städten und Gemeinden entstehen jetzt schon nachbarschaftliche Initiativen zur gegenseitigen Unterstützung.
 

Wie weiter arbeiten?

Wir brauchen die Einsicht, dass eine weitere schnelle Ausbreitung des Virus, wenn sie uns betrifft und krank macht, auch zu Arbeitsausfällen in unserem Sektor führen kann. Das wiederum würde die Versorgung der Region belasten. Es geht bei dieser Anmerkung also in keinem Fall darum, dass wir größeren Schutz als alle anderen fordern oder in irgendeiner Form gefährdeter sind. Es geht aber darum, uns im Zweifelsfall zu überlegen, wie wir in allen Bereichen der Wertschöpfungskette von Produktion auf unseren Höfen, über Weiterverarbeitung bis hin zur Verteilung von Lebensmitteln das Ansteckungsrisiko möglichst gering halten können. Es geht auch darum, im Zweifelsfall zu überlegen, wie wir unsere Betriebe aufrechterhalten können, wenn die Wirtschaft um uns herum zerfällt. Wir alle in der Region sind schon aufgrund der letzten Dürrejahre massiv unter Druck geraten und nicht zuletzt aufgrund einer jahrzehntelangen verfehlten Agrarpolitik. Seit Jahrzehnten gehen in Deutschland jedes Jahr tausende Landwirtschaftsbetriebe verloren. Die letzten Monate waren gekennzeichnet von den berechtigten Protesten tausender Landwirt*innen. Wir werden ebenso wie das Reinigungspersonal in der Charité unsere Proteste einstellen, damit wir für die Lebensmittel sorgen können, wenn jetzt diese schwierige Situation auf uns alle zurast. Unsere Arbeit wird als selbstverständlich genommen und ist es eigentlich schon lange nicht mehr. Sollte es durch den Ausfall von Importen zu Lebensmittelengpässen kommen, werden wir alles tun, um weiterhin und erst recht gute Lebensmittel für die Menschen in unserer Region zu produzieren. Ich hoffe im Namen meines gesamten Berufsstandes sprechen zu können, wenn ich sage: Wir werden uns nicht in einer Situation von Mangel dazu hinreißen lassen, unsere Produkte nur noch Menschen mit den entsprechenden finanziellen Mitteln zugänglich zu machen. Wir werden dafür einstehen, dass Lebensmittel allen Menschen gleichermaßen zukommen, egal welchen Hintergrund an finanziellen Möglichkeiten, Herkunft, Bildung, Sprache oder Kultur sie haben. Wir werden aus Solidarität arbeiten und nicht gewinnorientiert. Im Ernstfall werden wir noch dringlicher als ohnehin schon überlegen müssen, wie wir den sozialen Fragen rund um die Preise und Erreichbarkeit von Lebensmitteln begegnen, aber wir werden die Unterstützung der Gesellschaft dafür brauchen – mit oder ohne Corona.


Dieser Text von Julia Bar-Tal ist zuerst in der Unabhänigen Bauernstimme erschienen, auf deren Website er auch als Langfassung zu finden ist. Die Autorin ist Bäuerin in Brandenburg und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft.


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