Miese Kost im Krankenhaus

Kliniken sparen am Essen. Für nicht wenige Mangelernährte verschärft sich die Lage während ihres Aufenthalts im Krankenhaus sogar

Dass gutes Essen kranken Menschen hilft, auf die Beine zu kommen, weiß jede*r. Doch ausgerechnet in Kliniken wird das weitgehend ignoriert. Auf vielen Stationen kommen vor allem Fertigprodukte, billiges Brot mit Scheiblettenkäse und wenig Frisches auf die Teller. Vier bis fünf Euro am Tag geben Krankenhäuser in der Regel pro Patient*in für Lebensmittel aus – deutlich weniger als noch vor einigen Jahren.

Im Curriculum von Mediziner*innen spielt Essen keine Rolle, auch in der Pflegeausbildung wird es nur gestreift. Längst nicht jedes Krankenhaus beschäftigt Ernährungstherapeut*innen, die sowohl die Kranken als auch die medizinisch Verantwortlichen beraten können. Dagegen sind Diätassistent*innen abrechnungstechnisch meist dem Küchenpersonal zugeordnet – und dafür sind die Geschäftsführungen zuständig. Die sehen in der Essensversorgung vor allem die Chance, Kosten einzusparen und haben die Zahl der Diätassistent*innen in den vergangenen Jahren deutlich reduziert. Ein zentraler Grund für die Situation: Die Krankenkassen rechnen seit einigen Jahren nach Fallpauschalen ab – und je billiger die Versorgung der Patient*innen, desto höher der Gewinn. Bereits 40 Prozent der Krankenhausbetten sind inzwischen in der Hand von Privatunternehmen. Viele Geschäftsführungen haben die Essensversorgung an Caterer outgesourct oder betreiben zentrale Großküchen, die mehrere Häuser beliefern. Schließlich lassen sich die Kosten durch die Verarbeitung großer Mengen drücken.  

Kurz vor dem Servieren werden die Speisen dann im Krankenhaus aufgewärmt und an die Patient*innen verteilt. Ob und wieviel jemand tatsächlich isst, fällt häufig gar nicht auf: Oft werden die Teller unter einer Plastikhaube ans Bett gebracht und so auch wieder abgeräumt. Dass jemand das Essen nicht anrührt, muss nicht einmal mit schlechter Qualität zu tun haben. „Vielleicht kriegt jemand das Besteck nicht aus der Zellophan-Tüte gefummelt oder ist zu schwach, die Gabel zu halten“, sagt Diana Rubin, Professorin und Vorstandsfrau in der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin.
 

Mangelernährung verschärft sich im Krankenhaus

Viele Menschen kommen bereits mangelernährt in die Klinik, weil sie in den Wochen vor der Einlieferung keinen Appetit hatten und zu wenig Vitamine, Eiweiße und Spurenelemente aufgenommen haben. Vor allem bei Übergewichtigen fällt das häufig niemandem auf – und es gibt auch keine gesetzliche Verpflichtung, das zu recherchieren. Wissenschaftliche Studien aber belegen: In nicht wenigen Fällen verschärft ein Krankenhausaufenthalt die Mangelernährung von Patient*innen. Ihre Wunden heilen schlechter, sie sind anfälliger für Infekte und vor allem alte Menschen stürzen häufiger. Das ist nicht nur für sie selbst fatal, sondern auch teuer für die Sozialversicherung, weil sich der Genesungsprozess länger hinzieht.

Manche Menschen bezahlen diese im System angelegte Ignoranz sogar mit ihrem Leben. Das zeigt eine Studie aus der Schweiz, an der 2000 ältere Patient*innen beteiligt waren. Die eine Gruppe wurde mit dem üblichen Essen versorgt, für die andere Hälfte ermittelten Ernährungsfachkräfte den spezifischen Bedarf und stellten einen entsprechenden Speisenplan zusammen. 30 Tage später zeigten sich große Unterschiede. Die mit der individuell abgestimmten Kost erlitten deutlich seltener Komplikationen, die Todesrate lag hier um sage und schreibe 27 Prozent niedriger. Auch bei Covid-Patient*innen gibt es einen klaren Zusammenhang zwischen Nährstoffmangel und Sterblichkeitsrate, wie die Europäische Gesellschaft für klinische Ernährung und Stoffwechsel herausgefunden hat.  
 

Empfehlungen für gute Ernährung stoßen auf wenig Resonanz

2020 hat die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) Empfehlungen für die Verpflegung in Kliniken herausgegeben. Doch bisher verfügen lediglich vier Prozent der Krankenhäuser über ein entsprechendes Zertifikat. Die Politik hat Forderungen nach verbindlichen Standards bisher ignoriert. Das Gesundheitsministerium unter  Führung von Jens Spahn (CDU) begründete das gegenüber dem Bundestag ganz neoliberal: Weil die Krankenhäuser im Wettbewerb stünden, könnte eine gute Verpflegung ja durchaus ein Konkurrenzvorteil sein und damit im Interesse von Kliniken liegen. Sprich: Die Nachfrage wird es richten. Diese Position suggeriert, dass Patient*innen sich in einer ähnlichen Lage befinden wie  Restaurant- oder Kneipenbesucher*innen.  

Diana Rubin verweist noch auf einen anderen Aspekt: „Ein Krankenhaus sollte eine Vorbildfunktion haben.“ Empfiehlt die Ärzin einem Herzinfarkt-Patienten, weniger Fertigprodukte zu essen, wirkt das wenig überzeugend, wenn er genau das vorgesetzt kriegt. Auch Andreas Michalsen, Chefarzt im Berliner Immanuel-Krankenhaus, betont: „Die Bedeutung der Ernährung für die Prävention und Therapie der modernen Volkskrankheiten ist enorm.“ Deshalb besteht das Speisenangebot in der von ihm geführten Klinik zu einem Großteil aus frischem Gemüse und anderen pflanzenbasiertem Essen. Das Deutsche Krankenhausinstitut hat einen Wegweiser veröffentlicht, wie die Umstellung auf eine gesundheitsförderliche Ernährung angegangen werden kann.

Doch so etwas ist bisher die große Ausnahme – und auch in vielen Altenheimen sind die Mahlzeiten trostlos. Hier leben Menschen, die sich kaum wehren können und für die Essen oft der letzte sinnliche Genuss ist. Ulrike Kempchen, Juristin bei der Bundesinteressenvertretung für alte und pflegebetroffene Menschen, bekommt viele Fotos geschickt. „Griesbrei, in dem der Löffel steckenbleibt, wenn man die Schüssel umdreht und angebrannte Bratkartoffeln“, benennt sie als Beispiele. Verbindliche Qualitätsvorgaben gibt es auch hier nicht, lediglich ein Prozent der Einrichtungen haben sich von der DGE zertifizieren lassen. „Das Ganze ist marktwirtschaftlich organisiert und ein Anbietermarkt. Da muss man den Pflegeplatz nehmen, den man kriegen kann“, bedauert Kempchen. Den Reibach machen in wachsendem Maße große internationale Pflegedienstleiter wie Orpea, Korian und Alloheim.


Annette Jensen ist freie Journalistin und engagiert sich zudem im Ernährungsrat Berlin. Vor Kurzem ist das Buch "Berlin isst anders. Ein Zukunfstmenü für Berlin und Brandenburg" unter ihrer Mitarbeit erschienen.


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