Ökologisierung des Mainstreams vs. Konventionalisierung der Ökos?

Bioland bei Lidl ist symptomatisch für eine Entwicklung

Veränderung ist wohl auch im Zusammenhang mit der nun vertraglich beschlossenen und veröffentlichten Zusammenarbeit vom Bio-Anbauverband Bioland und einem der beiden großen Discounter im Lebensmitteleinzelhandel – Lidl – das meist benutzte Wort. In einer sich verändernden Welt geraten Dinge in Bewegung. Und Dinge kommen zusammen, die noch vor 15, 20 Jahren kaum jemand für zusammen gangbar gehalten hätte. Speziell unter den Discountern herrscht ein erheblicher Konkurrenzdruck – auch durch den wachsenden Onlinehandel – um eine Verbraucherschaft, die zwar immer weniger selber kocht, aber immer genauer wissen will, wo die Lebensmittel im Supermarktregal herkommen und wie sie erzeugt werden. Bislang bedienten gerade die Discounter ausschließlich das Bedürfnis der Kunden nach niedrigen Preisen. Nicht, dass dieser Aspekt nun unwichtig geworden wäre, aber ein zunehmender Teil der Gesellschaft – oft werden diese Entwicklungen mit den sogenannten Millennials verbunden, der jetzt erwachsenen Generation der von 1980 bis 2000 geborenen – räumt anderen Aspekten einen ebenso großen oder größeren Stellenwert ein. Gleichzeitig gibt es in der Landwirtschaft aus im Wesentlichen zwei Motivationen heraus – schlechte konventionelle Erzeugerpreise und wachsende gesellschaftliche Kritik an der Art der konventionellen Erzeugung – ein großes Interesse an neuen landwirtschaftlichen Wegen.

Anspruch umzugestalten

Einer davon, den seit einigen Jahren zunehmend Betriebe beschreiten, ist die Umstellung auf ökologischen Landbau. Parallel – so formuliert es auch Jan Niessen von der TH Nürnberg, der zuvor als Bioländer über weite Strecken bei den Verhandlungen mit Lidl dabei war – lässt sich in den vergangenen Jahren ein Politikversagen beobachten dahingehend, dass gesellschaftlich gewünschte Veränderungen in der Landwirtschaft bzw. der Nutzung oder dem Schutz der natürlichen Ressourcen nicht über einen verbindlichen Rechtsrahmen eingeleitet würden. Der Handel sage dann einfach: „Wir machen es selber“, so Niessen. Lidl ist auf Bioland zugekommen, zwei Jahre wurde verhandelt, schließlich ein Vertrag geschlossen, der Fair-play-Regeln und eine Ombudsstelle zur Schlichtung von eventuellen Streitfällen beinhaltet. Bioland-Präsident Jan Plagge betont die große Ernsthaftigkeit, mit der die Lidl-Vertreter den Bioländern begegnet seien. Im Verband wurde ebenfalls gesprochen, auch gerungen, schließlich von der Bundesdelegiertenversammlung festgelegt, dass unter Einhaltung bestimmter Werte und Prinzipien mit allen Vertretern des Handels gesprochen werden soll, nicht nur wie bislang mit dem Naturkost-Fachhandel. „Natürlich wird da jetzt Neuland betreten, aber es gibt keine andere Option, wenn wir den Anspruch haben, die Landwirtschaft umzugestalten“, sagt Niessen, „der entscheidende Dreh ist, aufzupassen, dass man nicht so endet wie der Bauernverband und nur noch den Industrieinteressen hinterherläuft.“ Wenn jetzt auf den Naturkosthandel gepocht werde, werde verkannt, dass der Fachhandel eben immer nur einen geringen Teil des Marktes bedienen könne.

Unter Einhaltung bestimmter Werte und Prinzipien soll mit allen Vertretern des Handels gesprochen werden

Viel Gesprächskultur

Bioland sei ein Verein von Bauern und Bäuerinnen, die sich Hilfe zur Selbsthilfe auf die Fahnen geschrieben hätten. Das sei wichtig, um den vermeintlich übermächtigen Handelspartnern organisiert gegenüberzutreten, so Niessen. „Es gibt das positive Beispiel aus Südtirol, da arbeiten die Erzeuger schon seit Jahren in Genossenschaften mit dem Handel zusammen – und reden auf Augenhöhe.“ Er sieht als wichtigsten Fortschritt in dem Vertrag zwischen Lidl und Bioland die Tatsache, dass heimische Erzeuger nicht mehr so leicht austauschbar sind wie bislang. Denn: Schon seit Jahren liefern Bioland-Bauern und andere Verbandsbetriebe in den großen Absatzkanal Discounter, ohne dass die Ware als solche ausgelobt würde. Das ist auch der Hauptgrund, warum Monika Tietke, Geschäftsführerin des Biokartoffelerzeugervereins BKE, den Deal sehr positiv sieht. Gerade bei Kartoffeln brauchte es in den vergangenen Jahren viel Gesprächskultur, um unter dem Druck günstigerer Auslandsware dem Handel einen anderen Umgang nahezubringen. Tietkes Erfahrung ist, dass überall Menschen sitzen können, die gut oder schlecht agieren, im Naturkosthandel wie im konventionellen LEH, bei den Abpackbetrieben wie auch unter den Bauern. Viel laufe eben über persönliche Beziehungen, das Entwickeln von Verständnis für den Partner und seine Position. Vor sechs Jahren verschenkten BKE-Mitgliedsbetriebe vor Lidl- und Aldi-Filialen ihre Kartoffeln im Frühjahr, weil die Discounter dem vermeintlichen Kundenwunsch nach neuen Kartoffeln entsprechend Ware aus Ägypten und Israel importierten, obwohl die Läger hier noch voll waren. Das sei heute kein Thema mehr, nicht nur weil Regionalität überall auf der Agenda stehe, sondern weil es gebündelte Erzeuger in diesem intensiven Austausch mit dem LEH und seinem Wunsch nach Veränderung gebe, ist sich Tietke sicher. Hauptsache, der Handel überreiße es nun nicht über die Preise, gibt sie auch zu bedenken. Zumindest im Interview mit der Lebensmittelzeitung betont Jan Bock, Geschäftsleiter Einkauf bei Lidl, Bioland-Artikel nicht verramschen zu wollen. Zwar werde der Liter Bioland-Milch so viel kosten wie die Biomilch bei Aldi, die Preise für die Bauern sollten aber fair sein, so dass Lidl im Zweifel bei der Marge Abstriche mache. Man wolle die Wertigkeit kommunizieren, etwas neues für Lidl.

Schon seit Jahren liefern Bioland-Bauern und andere Verbandsbetriebe in den großen Absatzkanal Discounter, ohne dass die Ware als solche deklariert wurde.

Welches Wertesystem

Für Michael Grolm, Bioland-Imker aus Thüringen, macht es einen Unterschied, ob man die Vereinskriterien aufweiche, um industriellen Strukturen entgegenzukommen oder ob man festhaltend an den eigenen Verbandswerten in industrielle Strukturen liefere. Am liebsten wäre ihm zwar eine Welt ohne Lidls und Aldis, aber die seien nun mal die Realität, in die eine wachsende Erzeugung von Bioprodukten auch abfließen können müsse. „Ich wünsche mir eine bäuerlich-ökologische Landwirtschaft auf 100 Prozent der Fläche“, so Grolm. Da müsse man dann auch in solche Strukturen liefern, wenn die Konditionen so gut seien wie jetzt ausgehandelt. Er sieht – wie es auch Bioland betont – ein anderes Zielpublikum, das erreicht werde ohne dass weniger Leute im Naturkosthandel kaufen würden. Aus den Discountern wird kein Fachhandel entstehen, wie es Elke Röder vom Naturkosthandel-Dachverband BNN in einem Kommentar auch nur rhetorisch fragt. Sie thematisiert die Gefahren, die darin liegen, sich mit einem Unternehmen einzulassen, das wahrscheinlich nur bis zu einem bestimmten Umfang bereit ist, bei den eigenen Margen Abstriche zu machen, um den bäuerlichen Lieferanten faire Preise zu zahlen. Auch betont sie die Wichtigkeit des Wertesystems, welches zu hinterfragen ist, bei einem Handelskonzern, der zum überwiegenden Teil umweltbelastend erzeugte und unfair gehandelte Ware verkauft. Es ist richtig, dass bestimmte Utopien nur mit kleineren Strukturen möglich bleiben. Wichtig ist sicherzustellen, dass diese Strukturen auch erhalten bleiben. Und gleichzeitig muss man zumindest die Hoffnung haben können, dass sich – aus Marketinggründen oder echtem Umdenken – auch in den großen Strukturen Veränderungen im Sinne von Bauern und Bäuerinnen durchsetzen lassen.


Dieser Artikel von Claudia Schievelbein erschien in der Unabhängigen Bauernstimme von November 2018.


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