Queeres Hinterland – Warum Pride und Landwirtschaft zusammengehören
Queer sein und Landwirtschaft – das hat für viele erstmal nichts miteinander zu tun. Dabei gibt es zahlreiche queere Menschen, die in der Landwirtschaft arbeiten und den ländlichen Raum mitgestalten. Sie brechen traditionelle Vorstellungen auf und zeigen, wie vielfältig das Landleben sein kann.
Zum Pride-Month haben wir mit einer jungen Gemüsebäuerin gesprochen, die in einem Kollektiv wirtschaftet und den ersten CSD in ihrer ländlichen Region mitorganisiert hat. Sie erzählt von ihren Erfahrungen als queere Person in der Landwirtschaft, von Solidarität und Sichtbarkeit – und warum Pride für sie und viele andere so wichtig ist.
Wer bist du?
Ich bin Alina, 29, und arbeite im Gemüsebau. Mit meinem Kollektiv haben wir vor 3 Jahren einen Hof übernommen und machen dort ganz gemischte, vielfältige Landwirtschaft: Wir haben Milchkühe und machen Acker- und Gemüsebau.
Wie ist es, als queere Person auf dem Land zu leben und zu arbeiten?
Dadurch, dass ich in einem Kollektiv arbeite und mir die Leute, mit denen ich zusammenarbeiten will, selbst ausgesucht habe, ist es auf Arbeit tatsächlich cool, da wir sehr queer-offen sind. Im Arbeitsalltag ist es also eigentlich gar kein großes Thema, sondern eher empowernd, in einem Kollektiv mit hoher FLINTA*-Quote zu arbeiten, wo wir uns über Geschlechternormen hinwegsetzen.
Das ist für mich eine sehr gute Basis dafür, auch hier im Dorf zu wohnen – da hat mich das Thema bis vor Kurzem noch gar nicht so sehr beschäftigt. Das hat sich jetzt zum ersten Mal geändert, als ich Teil des Orga-Teams eines CSDs hier in der Nähe geworden bin. Wir haben dann in den umliegenden Dörfern Plakate aufgehängt – das war für mich selbstverständlich. Bei mir im Dorf habe ich das dann Tag für Tag aufgeschoben. Ich hatte das Gefühl, das war dann ein sehr öffentliches Outing, womit ich mich auch verletzlich gemacht habe. Ich habe gedacht: Was, wenn ich die Plakate hier aufhänge und die dann einen Tag später wieder abgehängt werden? Das wäre sehr ernüchternd gewesen. Am Ende hingen die Plakate dann über eine Woche im Dorf – das war dann in Ordnung.
Du hast einen CSD mitorganisiert – wie kam’s dazu?
Die Idee geisterte hier in der Gegend schon länger rum, aber es hat sich nie jemand gefunden, der’s wirklich macht. Letztes Jahr haben wir dann mit einer Gruppe Freund*innen überlegt und gesagt: Okay, dann machen wir es jetzt selber. Durch den immer stärker werdenden Rechtsruck habe ich das Gefühl, mein Queersein politisiert sich viel mehr. In der Vergangenheit habe ich mich eher in queeren Gruppen bewegt, weil es nett und empowernd war, aber jetzt habe ich das Gefühl, ich muss es prophylaktisch verteidigen, weil ich nicht weiß, was genau politisch passieren wird.
Die Frage, welche Schutzkonzepte es braucht, hat uns dann auch viel beschäftigt – am Ende kamen zum Glück keine Leute zum Pöbeln, aber insgesamt werden auf dem Land immer wieder queere Leute bedroht, und wir haben ja auch mitbekommen, wie schwierig die Lage teils bei anderen CSDs war.
Wie war die Resonanz auf den CSD?
Richtig schön. Es kamen mehrere Hundert Leute, und wir haben wirklich viel positives Feedback bekommen. Wir haben auch von mehreren Leuten gehört, dass sie sich jetzt sicherer fühlen, weil sie auf dem CSD gesehen haben: Wir sind ja doch ganz schön viele. Das gibt einem schon das Gefühl von Rückhalt.
Was braucht es, damit queeres Leben auf dem Land sichtbarer und sicherer wird?
Es braucht mehr sichtbare Strukturen und Vernetzung. Man muss das Gefühl haben, dass es Orte gibt, an denen man sich austauschen kann. Wir haben hier das Problem, dass es zwar in den umliegenden Städten Beratungsstellen gibt, die aber nicht für unsere Dörfer verantwortlich sind. Auch ein queeres kulturelles Angebot wäre wichtig, um sich sicherer und sichtbarer zu fühlen. Das finden wir hier eher in den Städten, auf dem Dorf gibt es da eigentlich nichts.
Was für Erfahrungen hast du gemacht, wenn du im Dorf offen über deine queere Identität sprichst?
Auf einer Dorfparty haben ich und eine Kollegin mal mit einem Mann aus dem Dorf gesprochen, da kam irgendwie das Thema lesbische Beziehungen auf. Er meinte dann, wenn sich jetzt zwei Frauen auf einer Dorfveranstaltung küssen würden, dann würde wahrscheinlich irgendwer kommen und schießen. Ich glaube, er wollte uns damit gar keine Angst machen und findet das selber auch nicht gut – aber das war halt seine Einschätzung vom Ort.
Ansonsten habe ich eigentlich das Gefühl, dass viele Leute schon diese Einschätzung von wegen „Naja, zu Hause kann ja jeder machen, was er will“ haben. Aber wenn es dann um so öffentliche Veranstaltungen wie den CSD geht, wo das Thema politisiert wird, dann ist das schon wieder ein Schritt zu viel. So nach dem Motto: „Ihr habt doch schon eure Rechte, warum müsst ihr jetzt noch die ganze Gesellschaft verqueeren?“
Warum ist es wichtig, queere Perspektiven auch in der Landwirtschaft sichtbar zu machen?
Weil es uns halt gibt. Es gibt queere Menschen in der Landwirtschaft. Ich glaube, oft wird Queerness mit Großstadt, Party und Glitzer verbunden, und wenn Leute an Landwirtschaft denken, dann stellen sie sich einen Bauernhof mit einer hetero Kleinfamilie vor. Da gibt es einfach keinen Raum für queere Perspektiven, und noch weniger Vorstellungskraft dafür, dass das Leben da auch anders aussehen kann.
Deswegen ist es auch gut, dass es so was wie das ELAN (Emanzipatorisches Landwirtschaftsnetzwerk) gibt: zu sehen, es gibt einfach mega viele Leute, die queer sind und in der Landwirtschaft arbeiten. Viele von uns brechen diese Klischees auf, arbeiten nicht unbedingt im Familienbetrieb, sondern eben zum Beispiel in Kollektivbetrieben oder probieren andere neue Betriebsstrukturen aus.
Was würdest du jungen queeren Menschen mitgeben, die in der Landwirtschaft arbeiten (wollen)?
Es ist so wichtig, Verbündete zu haben. Das müssen ja nicht unbedingt nur andere queere Menschen sein, können auch einfach Leute sein, die solidarisch mit uns sind. Sucht euch Höfe, auf denen ihr gesehen werdet, so wie ihr seid, auf denen ihr euch sicher fühlen könnt. Und kommt zum ELAN-Netzwerktreffen!
Was bedeutet Pride für dich – im Kontext von Landwirtschaft und Landleben?
Ganz viel Sichtbarkeit. Einerseits wollen wir auf dem CSD feiern, dass es uns hier auf dem Land gibt, dass wir vielfältig sind – aber es ist und bleibt auch eine politische Veranstaltung, mit der wir für unsere Rechte kämpfen!
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