Vom Acker bis zum Teller: Die Regionalwert AG Berlin-Brandenburg

Jochen Fritz im Gespräch mit der Heinrich-Böll-Stiftung


Jochen Fritz ist Agraringenieur und Biobauer. Er hat viele Jahre die Kampagne Meine Landwirtschaft geleitet und die Großdemonstration „Wir haben es satt!“ organisiert. Jetzt engagiert er sich als Vorstand für die Regionalwert AG Berlin-Brandenburg. Im Interview mit der Heinrich-Böll-Stiftung spricht er über die Chancen und Herausforderungen der neu gegründeten Bürgeraktiengesellschaft.

 

Was genau ist eine Regionalwert AG?

Eine Regionalwert AG ist eine Bürgeraktiengesellschaft, in der Bürgerinnen und Bürger die Landwirtschaft finanzieren, von der sie in Zukunft ihre regionalen und ökologischen Lebensmittel beziehen möchten.


Was sind die Ziele der Regionalwert AG Berlin-Brandenburg, wie funktioniert sie und welche Betriebe unterstützt ihr?

Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, bäuerliche ökologische Betriebe zu finanzieren. Wir sind aber auch offen für Betriebe, die auf ökologische Landwirtschaft umstellen möchten. Uns ist es wichtig, kleine und mittlere Betriebe zu stärken.

Unser Slogan ist „vom Acker bis zum Teller“. Um mehr Produkte nach Berlin zu bringen, müssen wir in die Wertschöpfungskette investieren. Das kann eine Mühle sein, eine Gemüseverarbeitung oder auch ein regionaler Schlachthof. Das tun wir mit den UnternehmerInnen gemeinsam, wir investieren im Endeffekt in Menschen und deren Ideen. Wir könnten aber auch einen Betrieb pachten und jemanden für die Betriebsleitung anstellen. Die Spanne geht also von stillen Beteiligungen an Unternehmen bis zum Eigenbetrieb. Aktuell haben wir mit 1,19 Millionen die erste Kapitalerhöhung gemacht und sind dabei, die ersten Beteiligungen zu prüfen und einzugehen.


Wer sind eure AktionärInnen?

Ab 525 Euro kann man Aktionär werden, dieses Mal konnte man das Wertpapier bis zu 10.000 Euro zeichnen. Viele kommen aus Berlin, sehr viele mit 525 bis 2000 Euro. Es gibt aber auch einige, die 10.000 Euro investiert haben. Und wir haben drei große Investoren aus der Branche, die über 100.000 Euro investiert haben. 


Du sagst, viele der AktionärInnen kommen aus Berlin – woher kommen die anderen?

Viele kommen aus kleineren Städten in Brandenburg und vom Land, auch überregionale AktionärInnen gibt es. Wir arbeiten mit dem Finanzdienstleister Umweltfinanz, die die Aktien ihrem bundesweiten Kundenstamm angeboten haben. Wir garantieren, dass die Werte erhalten bleiben. Aber es geht uns nicht um die finanzielle Rendite, die ist vielleicht langfristig nach 10 Jahren möglich. Es geht darum, etwas zu bewegen und sein Geld in etwas Sinnvolles zu investieren.


Vernetzt ihr eure AktionärInnen auch untereinander und mit den von euch unterstützten Betrieben?

Das werden wir in Zukunft vermehrt tun, wir sind ja gerade erst gestartet. Wir haben den Hof Apfeltraum übernommen. Da besitzen wir ein Gebäude mit einem Veranstaltungsraum, einer Küche, einer Ferienwohnung und einem Demeter-Büro. Die erste feste Investition haben wir bei „Der Braut“, einer kleinen Dorfbrauerei in Stegelitz in der Uckermark, getätigt. Ganz aktuell sind wir bei dem Bio-Suppenhersteller „Wünsch Dir Mahl“ in Müncheberg als Partner eingestiegen. Wir wollen Aktionärsfahrten anbieten, aber dafür müssen wir noch ein bis zwei Jahre warten, bis wir genug Partner haben. Die Vernetzung findet auf der jährlichen Hauptversammlung statt, auf die unsere Produzenten kommen. Alle Aktionäre werden dazu eingeladen und können sich dort auch über den Stand der Betriebe informieren.

Du hast bis September 2018 die Kampagne „Meine Landwirtschaft“ geleitet und die Großdemonstration „Wir haben es satt!“ organisiert, auf der sich jedes Jahr zur Grünen Woche mehrere zehntausend Menschen für bäuerliche Betriebe und eine ökologischere Landwirtschaft einsetzen. Was war deine persönliche Motivation, dich jetzt als Vorstand in der Regionalwert AG Berlin-Brandenburg zu engagieren?

Die Entscheidung basiert auf den Erfahrungen, die ich bei der Kampagne „Meine Landwirtschaft“ gemacht habe. Die meisten Betriebe haben Probleme und einen hohen Finanzbedarf. Finanzielle Unterstützung ist da eine konkrete Hilfe. Das Modell der Regionalwert AG fand ich sehr überzeugend. Es investiert einerseits direkt in die Betriebe und baut andererseits auch ein Netzwerk zwischen den Betrieben bis zum Verarbeiter auf. Regionalwert AGs gibt es bereits in anderen Regionen, zum Beispiel in Freiburg, Hamburg und im Rheinland. Nach acht Jahren bei der Kampagne „Meine Landwirtschaft“ wollte ich auf zu neuen Ufern und Platz machen für neue Ideen und neue Leute. Mein Engagement bei der Regionalwert AG Berlin-Brandenburg ist also eine Weiterentwicklung von dem, was ich bei „Meine Landwirtschaft“ gemacht habe.    


Die Regionalwert AG Berlin-Brandenburg ist die jüngste von aktuell fünf Regionalwert AGs in Deutschland und die erste in Ostdeutschland. Weitere Regionalwert AGs sind in der Gründungsphase – wie entstand diese Idee und gibt es ähnliche Initiativen in anderen Ländern?

Der Gründer der Regionalwert Idee ist Christian Hiß aus Eichstetten am Kaiserstuhl bei Freiburg. Er hat seinen eigenen Demeter-Gemüsebaubetrieb 2006 in eine Regionalwert AG überführt, weil er gesehen hat, dass Landwirtschaft in größeren Strukturen stattfinden muss. Mittlerweile haben sie 30 Partnerbetriebe. Dazu gehört ein Obstbaubetrieb, an den Gemüsebaubetrieb haben sie inzwischen noch ein Milchviehstall angesiedelt, außerdem haben sie eine eigene Gaststätte in Freiburg und eine Gemüse-Kiste. Sie sind also schon sehr breit aufgestellt. Da wollen wir auch hin. Gerade in Brandenburg haben wir einen riesigen Bedarf an dieser Wertschöpfungskette, hier ist ja nach der Wende auch viel kaputtgegangen.

Regionalwert Impuls ist unsere Dachorganisation, darüber werden neue Initiativen, die sich in der Gründung befinden, unterstützt. In Luxemburg soll eine Regionalwert AG gegründet werden, die Idee ist auch schon nach Schweden und England übergeschwappt. 


Forscher des Leibniz-Zentrums für Agrarlandschaftsforschung (Zalf) kamen 2018 zum Ergebnis, dass Berlin nahezu vollständig aus dem nahen Umland ernährt werden könnte. Auch eine komplette Umstellung auf biologische Landwirtschaft wäre realisierbar – aktuell liegt der Anteil in Brandenburg bei 12 Prozent, Tendenz steigend. Der Rückhalt in der Bevölkerung ist groß: Berlin ist der größte Absatzmarkt für Bio-Lebensmittel in ganz Europa. Das sind doch eigentlich beste Bedingungen für eine Ernährungswende, oder?

Die sehr guten Voraussetzungen sollten wir nutzen. Das Ziel, uns innerhalb der nächsten zehn Jahre komplett aus der Region zu ernähren, wäre allerdings zu hochgesteckt. Wir können viel mehr aus der Region schaffen, aber dafür müssen wir uns genau ansehen, was auf den Brandenburger Böden wächst. Durch die zum Teil schlechten klimatischen Bedingungen und die schlechten Böden werden regionale Produkte auch teurer. Die Produzenten brauchen eine langfristige Preis- und Abnahmesicherheit. Diese Wertschöpfungskette fehlt, deswegen braucht es neue regionale Beziehungen zwischen Erzeugern, Verarbeitern, Handel und Verbrauchern, in die wir als Regionalwert AG investieren.

Ihr seid jetzt ein Jahr alt – was ist in dieser Zeit passiert, wo seid ihr erfolgreich und wo steht ihr Herausforderungen gegenüber?

Wir haben es in der kurzen Zeit geschafft, mit den 1,19 Millionen Euro eine gute Kapitalerhöhung hinzubekommen. Mit „Wünsch Dir Mahl“ und „Die Braut“ haben wir unsere ersten Beteiligungen gefunden. Wir haben sehr viele Bewerbungen – es knirscht wirklich in den kleineren und mittleren Betrieben. Die Bauernproteste sind ja auch ein Zeichen dafür, dass da nicht mehr viel Substanz ist. Wie können wir Betriebe aus schwierigen finanziellen Situationen herausführen und neue Wege gehen?

Es ist nicht damit getan, eine Investition zu tätigen. Der Landwirtschaft fehlt es an Wertschöpfung und Wertschätzung. Wir müssen die Landwirte fragen: Was braucht ihr für dieses Produkt, damit ihr es anbauen und davon leben könnt? Auf diesen Antworten sollte der Ladenpreis beruhen. Aktuell diktiert der Großhandel die Preise. Aber die rechnen sich für viele kleine und mittlere Betriebe nicht. Die Herausforderung für die nächsten Jahre ist, eine gute Mischung aus Investitionen im Handel und in der Verarbeitung zu finden, die Gewinne abwerfen. Und wir müssen zukunftsfähige Projekte in der Landwirtschaft finden, bei denen wir es schaffen, sie aus schwierigen Situationen zu führen.


Ackerland in Brandenburg ist zum Spekulationsobjekt für ortsfremde Großkonzerne geworden, die Ackerpreise sind in den letzten Jahren fast um das Vierfache gestiegen. Bäuerliche Betriebe können bei den Preisen nicht mehr mithalten. Welche Rolle kann eine Regionalwert AG im Kampf gegen Landgrabbing spielen?    

Land für Betriebe zu kaufen, gehört nicht zu unserem Hauptaugenmerk, dafür gibt es die Kulturland eG oder die BioBoden Genossenschaft. Wir sehen uns als Partner. Wenn beispielsweise ein Betrieb über die Kulturland eG oder die BioBoden Genossenschaft Ackerland erwirbt, kann er über uns seine Investitionen finanzieren. Wenn es passt, können wir auch Land für einen Betrieb kaufen. Landgrabbing kann man aber nicht privatwirtschaftlich lösen. Dafür braucht es ein Agrarstrukturgesetz, das politische Rahmenbedingungen ändert und Schranken beim Bodenpreis setzt.


Vor drei Jahren hat sich der Ernährungsrat Berlin-Brandenburg gegründet, der sich ebenfalls für eine regionale Versorgung der Stadt mit biologischen Lebensmitteln einsetzt – inwiefern arbeitet ihr mit dem Ernährungsrat zusammen?

Wir haben eine kleine Personalunion. Mein Vorstandskollege Timo Kaphengst ist auch Sprecher des Ernährungsrats Berlin-Brandenburg. Insofern arbeiten wir natürlich eng zusammen und stimmen uns inhaltlich und über politische Zielrichtungen ab. Gerade gründet sich der Ernährungsrat Brandenburg. Daran sind wir beteiligt, ich gehöre auch zum Initiatorenkreis. Ernährungsräte haben unsere volle Unterstützung, denn wir brauchen dringend regionale Runden, in denen Landwirte und Verbraucher diskutieren, wie wir uns regional und ökologisch ernähren können. Wir dürfen nicht immer nur Berlin im Blick haben. In Brandenburg leben auch 2,5 Millionen Menschen, wir brauchen kooperative Ansätze statt Frontstellungen.


Nehmen wir an, ich möchte gern Aktionärin bei der Regionalwert AG Berlin-Brandenburg werden. Was muss ich tun? Kann ich selbst entscheiden, wo mein Geld angelegt wird?

Man kann sich aktuell schon für die nächste Kapitalerhöhung im Frühjahr 2020 auf unserer Website registrieren lassen. Ab 525 Euro kann man dabei sein. Die Ausgabe wird über die Umweltfinanz GmbH in Berlin abgewickelt. Man bekommt Zeichnungsscheine zugeschickt, unterschreibt sie und damit ist man bei uns im Aktionärsregister und bekommt eine Einladung zur nächsten Hauptversammlung. Auf der Hauptversammlung wird entschieden, in welcher Richtung das Geld in Zukunft eingesetzt wird. Die einzelnen Projekte wählt der Vorstand zusammen mit dem Aufsichtsrat aus. Als Aktionär beteiligt man sich im Endeffekt an landwirtschaftlichen Betrieben und der Verarbeitung in Berlin und Brandenburg. Später kann man sein eigenes Gemüse von seinem eigenen Betrieb beziehen.


Was möchtest du uns zum Abschluss noch mit auf den Weg geben?

Eins ist mir wirklich wichtig: Es geht nur gemeinsam. Wir müssen den Produkten ihren Wert und ihren Preis zurückgeben. Dann kann es mit der Landwirtschaft weitergehen. Und dann schaffen wir hier einiges.

 


Dieses Interview, das Ines Meier für die Heinrich-Böll-Stiftung geführt hat, erscheint hier als Vorabveröffentlichung. Jochen Fritz leitete die Kampagne Meine Landwirtschaft und war Sprecher der Wir haben es satt!-Demo, bis er 2018 zur Regionalwert AG wechselte. Die nächste Wir haben es satt!-Demonstration findet am 18. Januar statt. » zum Demo-Aufruf


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