Zwischen Haselnüssen und Hühnern
Die Tage auf dem 50 Hektar großen Hof Franken GeNuss waren geprägt von spannenden Lernerfahrungen, der Haselnuss, Gastfreundlichkeit, Debatte und schlussendlich dem Fundament für gemeinsame Perspektiven. An einem innovativen Ort wie dem, den Martin mit seiner Familie und einigen Angestellten bewirtschaftet, tritt deutlich zutage, was die im Großen und Ganzen nach wie vor rückwärtsgewandte Subventionspolitik in Bayern, Deutschland, Europa für den Agrarsektor und in der Folge unsere Nahrungsmittelsicherheit und Qualität bedeutet: nicht viel Gutes, aber auch nicht nur Schlechtes.
Neben mir ist auch Maren vor Ort, um Martin und seine Familie kennen zu lernen. Sie arbeitet derzeit auf einem Gemüsehof und plant ihren eigenen Permakultur-basierten Hof. Ich selbst möchte vor Ort vor allem die Arbeitswelt von Landwirt*innen besser kennen lernen. Mein Ziel ist es, die zahlreichen mit der Klimakrise verbundenen Wasser- und Ressourcenkonflikte im ländlichen Raum in das öffentliche Bewusstsein und in die Parlamente zu bringen.
Gleich zu Beginn, nachdem Martin uns in abgeholt hat, erzählt er uns bei einem Rundgang, wie gesund Haselnüsse sind. Die überwiegend nach dem Gießkannenprinzip funktionierenden Subventionierungen, wie etwa die von Diesel, stützen zwar den Sektor als Ganzes, entbehren jedoch jedweder Lenkungswirkung. Und so klagt Martin als einer von vielen über eine mangelhafte Unterstützung des Haselnussanbaus, aber auch bei der Alternative zur Expansion eines einzelnen Betriebes nämlich Schulung und Wissensvermittlung.
Martin sagt er bekommt so viele Anfragen zu Tipps & Tricks beim Haselnussanbau, dass er entscheiden muss, diese grundsätzlich nicht zu beantworten. Er arbeitet 12 bis 14 Stunden am Tag und sucht aktiv, wenn auch erfolglos seit etwa einem Jahr Unterstützung. Wir klagen eine Weile zusammen über das scheinbare Ausbleiben der Agrarwende. Martin wundert sich, dass er Politiker wie Hubert Aiwanger oder Cem Özdemir nicht mehr erreichen kann, nachdem sie ihre Wahlkämpfe bestritten haben – obwohl sie den „Landwirt des Jahres 2023“ zuvor gerne besuchten und versicherten, seine Anliegen „ernst“ zu nehmen.
Kontroverser wird das Gespräch, als wir uns gemeinsam die Ställe mit ca. 850 Hühner anschauen, welche zu einem kleinen Teil des Haselnussbereichs geöffnet ist. Unter den Hühnern sei „Kannibalismus“ ausgebrochen, sodass der Bestand bereits um etwa zehn Prozent dezimiert sei. Als Martin das erzählt, während wir zwischen den häufig sichtbar verletzten Hühnern stehen, sind nicht nur Maren und ich, sondern auch Martin betroffen. Dennoch überlegt Martin, den Hühnerbestand auszutauschen und auch einen weiteren Stall anzuschaffen, da sein Hauptkunde, der ihm auch das selbst produzierte vegane Haselnussnougat und Haselnussmuß abnimmt, eine größere Menge angefragt hat. Laut Martin sind die Hühner hilfreich für die Schädlingsbekämpfung (insbesondere bei der Käferart Haselnussbohrer). Ich frage, ob der Ertrag im eingezäunten Bereich höher ist. Martin verneint das. Wir sehen die Hühner in den drei Tagen, die wir da sind, nie besonders weit entfernt vom Stall stehen – auf Nachfrage erklärt Martin, dass die Hühner lieber näher an ihrem Stall seien.
Später lernen wir beim gemeinsamen Abendessen die Familie kennen und sitzen gemütlich zusammen. Erst weit nach Mitternacht gehen Maren und ich schlafen. Wir tauschen uns nochmal ausführlich über die vielen intensiven Eindrücke des Tages aus und ich habe schon jetzt das Gefühl, dass die Erlebnisse des ersten Tages die sechsstündige Zugfahrt aus Magdeburg locker aufwiegen.
Es ist heiß an allen Tagen, so auch am folgenden Tag. Um 8 Uhr treffen wir uns auf dem Innenhof, und Martin zeigt uns beim Morgenkaffee den Hofladen und die Nougat- und Haselnussmußmaschinen. Er erwähnt stolz, dass es sich um Spezialanfertigungen handelt. Es ist schön, Martin mit funkelnden Augen von den zahlreichen Innovationen am Hof erzählen zu sehen, zu denen auch die intelligente automatisierte Wasserversorgung zählt.
Heute braucht laut Martin die Himbeere „etwas Aufmerksamkeit“. Auch der anscheinend weit verbreitete Reimspruch „Liebe vergeht, Hecktar besteht“ ist mir neu, löst aber beim gemeinsamen Abendbrot später einen Sturzbach an irritierend lustigen Anekdoten aus. Amüsiert stelle ich kurz nach Beginn der Feldarbeit fest, dass Maren und Martin etwa viermal schneller als wir das Beikraut um die Himbeeren entfernen.
Die Himbeeren und wohl auch die Hühner sind Martin wichtig, um potentielle Ernteausfälle aufzufangen. Die Spitze des Dürresommers steht noch bevor. Die invasive (stark stinkende!) Baumwanze ist im Moment der auschlaggebende limitierende Faktor der Ernteerträge, wie uns Martin erzählt, als wir durch die schattenspendenden Hasellnussalleen der Monokultur schlendern und er Klopfproben von den Bäumen nimmt. Auch den Haselnussbohrer finden wir vereinzelt.
Als er eine der Baumwanzen zertritt, fragt er uns, ob das ein Problem für uns wäre. Ich verneine; Maren weist darauf hin, dass es wohl kaum einen großen Unterschied macht. Ich kann nachvollziehen, dass Martin das trotzdem tut – auch weil es eine Hilflosigkeit und Sorge ausdrückt, die er zuvor bereits beschrieben hatte und die ich teile. Noch gibt es keine Möglichkeit, die Baumwanze effektiv zu bekämpfen. Und noch ist der Hof finanziell belastet, nachdem einige Jahre zuvor ein Feuer ausgebrochen war, welches erheblichen Schaden angerichtet hat. Maren sagt, dass da das Potential von Permakulturen besonders hoch ist: kurzfristig niedrigere Erträge, aber mehr Sicherheit vor Missernten und andere mit Monokulturen assoziierten Risiken. Martin zuckt mit den Schultern, und wir gehen Mittag essen.
Jetzt treffen wir auch einen der Angestellten, der zur Ernte von Polen aus nach Deutschland kommt. Maren fragt am Mittagstisch, wieviel Martin zahlt. Martin sagt „gut“ und nennt die Zahl. Maren nickt – der Lohn sei tatsächlich gut, auch wenn das nur im Sektorvergleich betrachtet der Fall sei und nicht wirklich die harte und verhältnismäßig gefährliche körperliche Arbeit kompensiert. Am Nachmittag ernten wir ein paar Stunden Kirschen, wobei Martins Frau Maren und mich mit einem Gabelstapler von Baum zu Baum fährt. Währenddessen reden wir mit Martins Frau trotz fünf Meter Höhenunterschied zwischen uns. Ihre Aufgabenbereiche sind zum Beispiel der Pferdehof, aber auch über Festivals und Urlaubspläne.
Am letzten Tag beenden wir die Arbeit an den Himbeeren und lassen unsere gemeinsame Zeit bei Limonade vor Martins Hütte ausklingen, die zwischen Haselnussbäumen und Himbeeren steht und eine eigene Sauna hat. Zum Abschluss sprechen wir noch einmal über den Automobilkonzern BMW, welcher Kooperationspartner von Franken GeNuss ist und dort ein Wasserstoffprojekt vorantreibt. Das hat einen bitteren Beigeschmack, denn die fossile Industrie nutzt derartige Projekte erfolgreich, um gegen das sogenannte Verbrenneraus zu lobbyieren.
Dennoch: Auch im Schatten des Sonnenschirms, unter dem wir sitzen, schaffen wir ohne Anstrengung einen fairen, offenen und ehrlichen Austausch. Die vergangenen Tage haben uns schon gezeigt, dass wir uns verstehen und voneinander lernen möchten. Später umarmen wir uns zum Abschied und versprechen, in Kontakt zu bleiben. Diese Tage haben uns gezeigt, dass wir weiter machen möchten und müssen.
Willem ist aktiv bei „Guter Grund“ und war gemeinsam mit Maren, aktiv bei der Linksjugend, auf dem Hof „Franken GeNuss“ in Bayern.
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