Öffentliche Täuschung bei privatem Konzernklagerecht?

Nächste Woche beginnt in Brüssel die nächste TTIP-Verhandlungsrunde. Im Mittelpunkt wird dabei das umstrittene Konzernklagerecht stehen. Unter der Abkürzung ISDS (investor state dispute settlement) war bei den ersten Verhandlungen zum Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU von privaten, internationalen Schiedsgerichts bekannt geworden. Im vergangenen Herbst legte die Europäische Kommission unter dem Namen ICS (Investment Court System) einen neuen Vorschlag zum Investitionsschutz im TTIP vor. In einer heute vorgestellten Studie belegen zivilgesellschaftliche Organisationen nun, dass diese von der EU-Kommission vorgebrachten Neuerungen eine Täuschung der Öffentlichkeit darstellen – lediglich mit neuer Etikette würden dieselben Inhalte auf den Tisch gebracht.

 

Die Autoren der Studie, darunter Corporate Europe Observatory, Campact, PowerShift. Forum Umwelt & Entwicklung und 13 weitere, beschreiben den “neuen” Ansatz der Kommission als PR-Übung, da mit Begriffen wie “Handeslgerichtshof” oder “Investitionsgericht” Vertrauen auf Seiten der Öffentlichkeit hergestellt werden soll. In Wirklichkeit haben diese Schiedsgerichte mit Schiedsrichtern wenig mit unabhängigen Richtern und Gerichten gemein. So formulierte auch der Deutsche Richterbund in einer Stellungnahme zum Investitionsgericht: „Weder das vorgesehene Verfahren zur Ernennung der Richter des ICS noch deren Stellung genügen den internationalen Anforderungen an die Unabhängigkeit von Gerichten. Das ICS erscheint vor diesem Hintergrund nicht als internationales Gericht, sondern vielmehr als ständiges Schiedsgericht.“

 

Die privaten Schiedsgerichte stehen in scharfer gesellschaftlicher Kritik, da sie es privaten Unternehmen ermöglichen, in einer Art Parallel-Justiz die Politik von Staaten zu beklagen. Damit drohen Entschädigungsklagen gegen Umwelt- oder Gesundheitsgesetze. Prominente Beispiele sind der Tabakkonzern Philip Morris, der vom Staat Uruguay wegen einer Kampagne gegen Rauchen auf Zigarettenschachteln zwei Milliarden Dollar fordert, der Energielieferant Vattenfall, der Deutschland wegen des Atomausstiegs auf 4,7 Milliarden Dollar verklagte oder der Rohstoffkonzern TransCanada, der von den USA wegen Einstellung des Keystone Pipeline-Projekts auf 15 Milliarden Dollar verlangt.

 

Derlei Exempel der Macht großer Konzerne trieben im Herbst letzten Jahres 250.000 Menschen in Berlin auf die Straße. „Die Menschen empfinden all diese Klagen gegen Politik zum Schutz des öffentlichen Interesses als zutiefst ungerecht und demokratiefeindlich. Nicht so die EU-Kommission: Die macht Vorschläge, mit denen genau solche Klagen weiter möglich sind. Ihr sind die Konzerne offenbar wichtiger als die Bürger Europas“, so Maritta Strasser von campact.

 

Die Verfasser der Studie betonen, dass es prinzipiell keine Veranlassung für eine rechtliche Sonderbehandlung ausländischer Investoren geben dürfe. Falls es Lücken im derzeitigen Rechtssystem gebe, die ausländischen Investoren keine zuverlässige Rechtssicherheit ermögliche, sei dieses Problem vom Gesetzgeber im bewährten System des nationalen und internationalen Rechts zu lösen.

 


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