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Die Biodiversität der Gene

Klimawandel, Biodiversitätsverlust, Mikroplastik – es steht nicht gut um Natur und Umwelt und damit um unsere Lebensgrundlage. Klar ist, so geht es nicht weiter. Aber welche Konsequenzen werden aus den Erkenntnissen der letzten Jahre gezogen? Einige propagieren technologische Lösungen wie die gentechnische Veränderung von Pflanzen und Tieren. Dabei kann all der technokratische Enthusiasmus nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Gentechnik eben Teil des Landwirtschaftssystems ist, welches eine hohe Mitschuld an den Zuständen hat, und damit kaum deren Lösung sein kann. Aus Anlass der Veröffentlichung des Berichtes des Weltbiodiversitätsrates (IPBES) im Mai möchte ich diesen Standpunkt verdeutlichen.

Das Ergebnis der IPBES Berichtes ist alarmierend: Über eine Million Tier- und Pflanzenarten – 25 Prozent der bekannten Arten weltweit – sind vom Aussterben bedroht. Noch bedrohlicher als der Anteil an bedrohten Arten, ist die Erkenntnis über die Geschwindigkeit mit der Arten verschwinden. Die Aussterberate ist jetzt schon zehn- bis einhundert Mal höher als der Durchschnitt der letzten 10 Millionen Jahre und sie nimmt immer weiter zu. Einige Wissenschaftler*innen sprechen vom sechsten großen Massenaussterben seit Entstehung der Erde. Das Aussterben von Arten ist zwar ein ständiger Vorgang, was der Bericht jedoch verdeutlicht, ist der gravierende Einfluss, den menschliche Aktivitäten auf den Biodiversitätsverlust haben. Veränderungen in der Land- und Meeresnutzung sowie die direkte Entnahme von Organismen aus Ökosystemen sind die zwei Haupttreiber die im IPBES Bericht herausgearbeitet werden. Klimawandel, Umweltverschmutzung und invasive Arten verstärken den Trend.

Aber nicht nur Säugetiere, Vogelarten und ganze Ökosysteme sind gefährdet. Viele Insekten- und Pflanzenarten sterben aus und auch bei Bakterien ist ein, wenn auch vielfach geringerer, Abwärtstrend zu verzeichnen.5 Noch unscheinbarer ist der Verlust an genetischer Vielfalt. Damit ist der Verlust an unterschiedlicher genetischer Information und Ausprägungen von Individuen einer Art gemeint. Genetische Vielfalt ist extrem wichtig für die Überlebenschancen von Arten. Denn eine breite Variabilität in den Genen ist ausschlaggebend für die Anpassungsfähigkeit an sich verändernde Umweltbedingungen, Krankheiten oder Fressfeinde. Wird die Variabilität der Gene innerhalb einer Art oder Population zu gering, kann eine sogenannte Inzuchtdepression drohen. Unvorteilhafte Gene treten dann häufiger im Genpool auf und verstärken zum Beispiel die Anfälligkeit gegenüber Krankheiten. Der vorhandene Genpool, die Variationen der Gene von allen potenziell sich kreuzenden Organismen einer Population, wird vor allem durch die Anzahl an Individuen und die Vielfalt ihrer Gene bestimmt. Daher ist die Isolierung einer Population ein wichtiger Aspekt. Sind verschiedene Populationen gut miteinander verbunden, und die Ab- und Zuwanderung von Individuen möglich, kann es einen genetischen Austausch zwischen den Gruppen geben. Die Bewegung von Organismen und die Verbundenheit von Lebensräumen sind daher extrem wichtig für stabile und anpassungsfähige Arten. Diese Verbundenheit wird durch menschliche Aktivitäten stark eingeschränkt. Die Ausdehnung von Städten, Straßennetzen und vor allem landwirtschaftlich genutzten Flächen zerstören bestehende Lebensräume und verringern die Verbundenheit der verbleibenden. Im IPBES Bericht heißt es hierzu, dass „die genetische Diversität innerhalb von Wildarten weltweit seit dem 19ten Jahrhundert mit ungefähr einem Prozent pro Jahrzehnt abgenommen hat“.

Biodiversität und Landwirtschaft

Landnutzungsänderungen haben weltweit die größten Auswirkungen auf Land- und Süßwassersysteme Laut Bericht wurden seit 1980 beispielsweise etwa 42 Millionen Hektar tropischen Regenwaldes in Lateinamerika abgeholzt, um für die Fleisch- und meist gv-Soja-Produktion Platz zu schaffen. Sehr deutlich wird die Aussage vertreten, dass das vorherrschende industrielle Landwirtschaftsmodel einen negativen Einfluss auf die Biodiversität hat. So deutlich, dass gewisse Informationen gestrichen werden mussten: Vor der Veröffentlichung des Berichtes stellten die beteiligten Wissenschaftler*innen bei einem Treffen ihre Ergebnisse einigen Politiker*innen vor. Diese entschieden laut Dr. Jens Jetzkowitz, Mitautor des IPBES-Berichtes, dass unter anderem die Formulierung „die OECD Länder investieren 100 Milliarden Euro in umweltschädliche Landwirtschaft“ gestrichen werden musste.

Aber nicht nur die Diversität der Gene in der Natur leidet unter einer industriellen Landwirtschaft. Auch die Biodiversität der landwirtschaftlich genutzten Arten von Hühnern oder Äpfeln hat dramatisch abgenommen. Im IPBES-Bericht steht, dass bis 2016 bereits 559 der 6.190 landwirtschaftlich genutzten Tierrassen ausgestorben waren und mindestens 1.000 Rassen weiterhin bedroht sind. Mehr als 90 Prozent aller landwirtschaftlich genutzten Pflanzen sind weltweit bereits verschwunden. So gibt es von den 55 bekannten Kohlrabisorten mittlerweile nur noch drei.

Die Gründe für dieses Verschwinden von Nutzrassen und -sorten sind divers. Landwirtschaft ist, vor allem durch die sogenannte grüne Revolution angetrieben, einheitlicher geworden. Durch den Einsatz von Maschinen, Pestiziden und chemischem Dünger wird die Bewirtschaftung von Flächen und Tieren kurzfristig ökonomisch effizienter. Dieses inputintensive Landwirtschaftsmodel basiert auf standardisierten Pflanzen und Tieren, Böden und Umweltbedingungen. Tiere und Pflanzen werden in der Zucht auf eine oder wenige Eigenschaften spezialisiert um den Ertrag zu erhöhen. Mit der „grünen Revolution“ einher ging auch die Ausweitung von geistigen Eigentumsrechten auf Pflanzen und Tiere. Seit Mitte des neunzehnten Jahrhunderts beschränken diese den Zugang auf Tierrassen und Pflanzensorten für Anbau und Zucht und verringern hierdurch die Vielfalt. Die Biotechnologien entwickelt sich und ermöglicht neue Verfahren und Technologien in Zucht und Forschung an neuen Tierrassen und Pflanzensorten. Allerdings sind diese bis heute technologie-, ressourcen- und kostenintensiv. Die Entwicklung von neuen Sorten und Rassen wurde hierdurch von der landwirtschaftlichen Praxis hin zu spezialisierten Instituten verschoben. Es benötigt viel Kapital um diese Sorten entwickeln zu lassen, global zu bewerben und zu vermarkten. In der Produktion werden Stückkosten günstiger bei zunehmender Produktionsmenge (Skaleneffekt) woraus sich ein wirtschaftliches Interesse ergibt viel von einem zu produzieren. Die Industrialisierung der Landwirtschaft hat in einem ähnlichen Zeitraum in vielen Teilen der Welt zu größeren Betrieben mit größeren Feldschlägen geführt, die einen zahlkräftigen Absatzmarkt für industrielles Saatgut geschafften haben. Heute dominieren die drei Unternehmen DuPont-Dow, ChemChina-Syngenta und Bayer-Monsanto über 60 Prozent des globalen Marktes an Saatgut. Der Spielraum für unterschiedliche Anforderungen an Pflanzen und Tiere, Umwelt- und Bodenbedingungen und eine selbstbestimmte Ernährung ist in den letzten Jahrzehnten somit stark eingeschränkt worden.

Gentechnik: mehr Schaden als Nutzen

Innerhalb dieser Prozesse sind auch die alte wie die neue Gentechnik an Pflanzen und Tieren zu verorten. Diese sind der Inbegriff für standardisierte und im Labor entwickelte Organismen. Existierende gv-Pflanzen und -Tiere sind mit Eigenschaften versehen worden, die einer intensiven und industriellen Landwirtschaft zugutekommen. Dies ist ein Vorzeigebeispiel für eine kapital- und wissensintensive Technologie und hat die Patentierung von Lebewesen erst angestoßen. Gentechnisch veränderte Pflanzen werden vor allem von globalen Saatgut- und Agrarchemiekonzernen entwickelt und häufig in Produktpaketen mit passendem Pestizid verkauft. Neben all diesen komplexen, häufig wirtschaftlich motivierten Aspekten hat die Gentechnik auch direkte negative Auswirkungen auf die globale Biodiversität.

Neben dem potenziellen Einkreuzen von gv-Pflanzen in Wildpopulationen und schädlichen Wirkungen von gv-Pflanzen mit Bt-Toxinen (des Bacillus thuringiensis) auf Insekten in Boden, Luft und Wasser, sind vor allem herbizidtolerante Nutzpflanzen zu nennen. Über 85 Prozent der derzeit angebauten gv-Pflanzen tolerieren das Besprühen mit einem oder mehreren Pflanzengiften. Das hat zu einem enormen Verbrauch an Herbiziden geführt, vor allem in Ländern in denen Grenzwerte hoch angesetzt sind. Somit ist die Gentechnik als Teil eines industriellen Landwirtschaftssystems –insbesondere auf dem amerikanischen Kontinent mit dem Anbau von gv-Soja Treiber im Pestizideinsatz und folglich mitverantwortlich für den Rückgang der Biodiversität weltweit. Denn der Einsatz von Pestiziden hat gravierende Folgen für die Agrobiodiversität. Ackerwildpflanzen, Grundlage eines gesamten Nahrungsnetzes von Insekten, Säugetieren und Vögeln, verschwinden.

Das industrielle Landwirtschaftsmodel und mit ihm die Gentechnik wirken somit negativ auf alle Ebenen der Biodiversität: Sie stören Ökosysteme und Lebensräume, bedrohen die Artenvielfalt und auch die genetische Diversität von wild lebenden Tieren und Pflanzen als auch bei Nutztieren und -pflanzen. Die von verschiedenen Seiten weiterhin enthusiastisch propagierte Gentechnik als Mittel zum Schutz der Biodiversität, der Landwirtschaft und für die Klimawandelanpassung darzustellen erscheint somit absurd und widersinnig. Eine Technologie die so sehr mit Wachstums- und Kapitalinteressen verbunden ist, kann nicht die Lösung für die Probleme sein, die eine industrielle Landwirtschaft geschaffen hat.

Systemwechsel statt technologischer Lösungen

Die konventionelle Zucht benutzt verschiedenste Methoden und ist zu großen Teilen im gleichen industriellen Landwirtschaftsmodell anzusiedeln wie die Gentechnik. Sie ist in sich jedoch diverser und hat Nutzpflanzen mit vorteilhaften Eigenschaften erzeugt an denen die Gentechnik scheiterte. Sie birgt nicht die ungeklärten Risiken die gv-Pflanzen und Tiere für Umwelt- und Gesundheit darstellen. Die finanziellen, geistigen und zeitlichen Ressourcen, die für diese Risikodebatte aufgewendet werden, könnten in vielfacher Weise effizienter und zielorientierter eingesetzt werden. Denn was uns die Erkenntnisse der letzten Jahre in Bezug auf Klima, Biodiversität und Ernährung zeigen, ist, dass es eines Wandels in der landwirtschaftlichen Praxis bedarf. Allein die Symptome eines an sich destruktiven Systems abzumildern, wird kaum ausreichen.

Klimawandel, invasive Arten und Umweltverschmutzung verändern die Anforderungen an Landwirtschaft. Was für die Biodiversität in der Natur gilt, gilt auch für die Biodiversität bei den Nutztieren und -pflanzen. Unterschiedliche Umweltbedingungen, reger Austausch zwischen den Populationen und eine stabile Populationsgröße sind die ausschlaggebenden Faktoren für anpassungsfähige und gesunde Arten. Die Sicherung der Ernährung ist eine gesellschaftliche Frage und daher benötigt es eine Demokratisierung der Nahrungsmittelentwicklung und -produktion. Dies bedeutet, dass der Zugang, die Zucht und Verbreitung von Saatgut für viele Menschen zugänglich gemacht und von ihnen getragen wird. Hieraus entsteht Diversität. Nicht zu vernachlässigen ist, was es heutzutage noch an Strukturen gibt die so funktionieren und zu verteidigen sind. Denn 30 Prozent der globalen Nutzpflanzen und 30 Prozent der Nahrungsmittelversorgung werden, laut IPBES-Bericht von kleinen Landwirtschaftsbetrieben produziert und weltweit wird noch immer 80 Prozent des Saatgutes durch Nachbau und Tausch erhalten.

 

Dieser Text von Judith Düesber ist zuerst in der GID-Ausgabe 250 vom August 2019 erschienen. Judith Düesberg ist Ökologin und Mitarbeiterin des GeN.