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GAP: EU-Parlament stimmt Rückbau von Umweltregeln zu

Eine Mehrheit der Abgeordneten des Europäischen Parlaments hat am 24. April der Abschwächung von Umweltstandards in der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) zugestimmt. Mit der Billigung der von der Kommission vorgeschlagenen „Vereinfachungen“ ermöglichten die Abgeordneten, in ihrer letzten Sitzungswoche vor der Europawahl, einen weitreichenden Abbau der Grundanforderungen (Konditionalität) in der EU-Agrarförderung. Um die Verabschiedung zu beschleunigen, hatte das Parlament Anfang April einem Eilverfahren zugestimmt (EU-News vom 11.4.). Somit wurde in knapp 6 Wochen eine „Mini-Reform“ der GAP durch die EU-Institutionen getrieben, welche die Ergebnisse mehrjähriger Verhandlungen zurücksetzt.

Appelle bleiben ungehört – Änderungsanträge finden keine Mehrheit

Vor dem Votum im EU-Parlament appellierten Umweltorganisationen und progressive Landwirtschaftsverbände an die EU-Abgeordneten, das Vorhaben abzulehnen. DNR-Geschäftsführer Florian Schöne sprach von „gefährlichen Scheinlösungen“, die weder den Landwirtschaftsbetrieben tatsächlich helfen noch die zukünftig „nahezu bedingungslose Verwendung von Milliarden an Steuermitteln“ rechtfertigen würden. Die geplanten Aufweichungen verschärften nicht nur Klimakrise und Artensterben, sondern setzten auch die Glaubwürdigkeit der EU-Gesetzgebung aufs Spiel. Entsprechend kommentierte auch Ottmar Ilchmann, Sprecher für Agrarpolitik der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL). Das Abschmelzen sozialer und ökologischer Grundanforderungen sei abzulehnen, unter anderem weil die Versäumnisse beim Boden- und Artenschutz den Bäuerinnen und Bauern ansonsten sehr bald selbst „auf die Füße fallen“ würden.

Doch die Appelle verhallten ungehört. Bei der finalen Abstimmung zur Überarbeitung der GAP-Strategieplanverordnung sowie der horizontalen GAP-Verordnung gaben 425 Abgeordnete ihre Zustimmung, bei 130 Nein-Stimmen und 33 Enthaltungen. Die Ablehnung der GAP-Lockerungen kamen aus dem Lager der Grünen (Greens/EFA) und Linken (The Left). Die Fraktion der Sozialdemokraten (S&D) zeigte sich gespalten, wobei die deutschen Abgeordneten der SPD die Aufweichung ebenfalls ablehnten. Zu der Mehrheit der Befürworter*innen zählten die Abgeordneten der Konservativen (EVP), der Liberalen (Renew), der Rechtspopulisten (ECR) und extremen Rechten (ID), sowie das andere Lager der S&D-Fraktion. Änderungsanträge der Grünen und Linken zur Vertagung der Abstimmung oder Kompromissvorschlägen fanden zuvor keine ausreichende Mehrheit.

Was steckt drin?

Die verabschiedeten Lockerungen betreffen einige Anpassungen der verbindlichen Mindestanforderungen, die Betriebe erfüllen müssen, um Agrarsubventionen zu erhalten; die sogenannten Standards für den guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand (GLÖZ):

  • Kleine Betriebe bis zu zehn Hektar sollen von Kontrollen und Sanktionen im Zusammenhang mit den GLÖZ-Standards ausgenommen werden. Dies würde etwa 65 Prozent der GAP-Begünstigten - und zehn Prozent der EU-Agrarfläche – betreffen.
  • Bei GLÖZ 1 (Erhalt von Dauergrünland) sollen die Mitgliedstaaten den Referenzzeitraum zum Erhalt der Flächen „flexibler“ anpassen können. Dadurch können mehr Wiesen und Weiden umgebrochen werden. Hierzu hatte das EU-Parlament bereits am Dienstag einen delegierten Rechtsakt der Kommission durchgewunken.
  • Bei GLÖZ 6 (Bodenbedeckung in sensiblen Zeiten) sollen Vorgaben zur Mindestbodenbedeckung im Winter von den Mitgliedstaaten selbst festgelegt werden.
  • Bei GLÖZ 7 (Fruchtwechsel) soll die Erfüllung der Vorgabe anstatt durch einen verpflichtenden jährlichen Fruchtwechsel auch durch eine Diversifizierung des Anbaus erfüllt werden. Es müssten lediglich verschiedene Kulturen auf den Flächen angebaut werden. Ein mehrfacher Anbau derselben Pflanzen auf derselben Fläche wäre somit möglich, ein Fruchtwechsel nicht vorgeschrieben.
  • Bei GLÖZ 8 (nicht-produktive Flächen und Landschaftselemente) soll die verpflichtende Bereitstellung von mindestens vier Prozent Flächen für die biologische Vielfalt, wie Brachen, abgeschafft werden. Stattdessen sollen die Mitgliedstaaten dies als freiwillige Öko-Regelung anbieten. Der Erhalt von Landschaftselementen wie Hecken soll in Kraft bleiben.
  • Außerdem sollen die Mitgliedstaaten die Möglichkeit bekommen bestimmte Kulturen, Bodentypen oder Anbausysteme von den Anforderungen von GLÖZ 5, 6 und 7 auszunehmen. Auch soll es mehr Ausnahmeregelungen aufgrund extremer Witterungsbedingungen geben.

Scharfe Kritik von NGOs und Wissenschaft

Umweltverbände protestierten einstimmig gegen die Entscheidung und sehen im Abbau der Umweltstandards einen Rückfall der EU-Agrarförderung um Jahrzehnte. Der NABU spricht von einem „totalen Ausverkauf ökologischer Fortschritte“. NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger kritisierte die „massive Abschwächung“ der Mindeststandards scharf und sieht nun Deutschland bei der nationalen Umsetzung am Zug. Um die Rückschritte bei den verbindlichen Standards abzufedern, müsse den freiwilligen Maßnahmen, etwa für die sogenannten Öko-Regelungen „ausreichend Gelder aus dem Topf der pauschalen Flächenzahlungen zur Verfügung gestellt werden“.

Der Deutsche Berufs und Erwerbs Imker Bund e.V. (DBIB) kommentierte: „Das Streichen beim Umweltschutz hilft Landwirten nicht.“ De Rücknahme bewährter Umweltauflagen sei „ein herber Rückschlag für die Artenvielfalt und jahrelange Standards“ für den guten ökologischen Zustand von Böden und Flächen.

Und auch aus der Wissenschaft gibt es umfassende Kritik (Radiobeitrag Deutschlandfunk) und erste Analysen zu den negativen Folgen der Entscheidung (Beitrag von Sebastian Lakner & Norbert Röder).

Rückwirkend gültig ab Januar 2024

Bereits am kommenden Montag soll der Agrarrat der Entscheidung formal zustimmen. Nach der Genehmigung durch den Rat wird das Gesetz im EU-Amtsblatt veröffentlicht und tritt damit sofort in Kraft. Viele der neuen Regeln für die Umweltstandards sowie für Kontrollen und Sanktionen sollen dann rückwirkend ab dem 1. Januar 2024 gelten. [bp]


Dieser Artikel ist zu erst am 26.04.2024 beim Deutschen Naturschutzring erschienen.