Klimawandel und Pflanzenschutzmittel

Die anhaltenden, auf den Klimawandel zurückzuführenden Regenfälle in diesem Jahr führen zu einem erhöhten Pilzbefall im Getreide. Um dem zu begegnen, werden aktuell in den betroffenen Regionen vermehrt Fungizide eingesetzt – ein gängiges Phänomen und Vorgehen in feuchten Jahren. Der Chef des Deutschen Bauernverbands (DBV) Joachim Rukwied sieht (berechtigter Weise) die Ernten durch den Klimawandel zunehmend bedroht, behauptet jedoch (mit weitaus weniger fundierter Grundlage), dass deswegen eine „weitere deutliche Reduzierung in der Verfügbarkeit von Pflanzenschutzmitteln und Wirkstoffen den Anbau von Getreide in Deutschland bedrohe“ und es notwendig sei, „dass den Landwirten eine breite Palette von Wirkstoffen zur Verfügung steht, um einen Wechsel in der Anwendung vollziehen und so ein gutes Resistenzmanagement durchführen zu können.“

Im Folgenden wird dargestellt, warum dies nur die halbe Wahrheit und eine gefährliche Forderung ist und welche vielfältigen anderen Lösungsansätze es bereits gibt.  

Zunächst erst einmal eine Klarstellung: Die Anzahl an zugelassenen Wirkstoffen ist seit dem Jahr 2000 annähernd gleichgeblieben, dies zeigt die Statistik des Umweltbundesamtes. Einige Wirkstoffe wurden verboten (zum Beispiel Neonicotinoide), andere kamen neu hinzu. Von einer „weiteren deutlichen Reduzierung“ kann also keine Rede sein. Nebenbei sei erwähnt, dass auch die Absatzmenge von Pflanzenschutzmitteln (PSM) seit 1995 relativ konstant geblieben ist.

Eine durchaus problematische Tatsache, die den Ruf des DBV-Chefs nach mehr beziehungsweise zusätzlichen anderen Wirkstoffen zunächst gerechtfertigter erscheinen lässt, ist allerdings die Entwicklung von Resistenzen. Ähnlich wie bei einem übermäßigen Einsatz von Antibiotika wirken einige Wirkstoffe im Pflanzenschutz inzwischen nicht mehr wie vorgesehen. Wenn entsprechend keine neuen Wirkstoffe entwickelt werden, um die alten, unwirksam gewordenen zu ersetzen, besteht tatsächlich ein Problem. Dieses Problem ist real und stellt die Betriebe vor neue Herausforderungen.

Einsatz von Pflanzenschutzmitteln überdenken

Allerdings ist dieser Umstand im Ursprung bereits auf einen vorbeugenden (übermäßigen) Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zurückzuführen. Man sollte dem Problem nun also nicht damit begegnen, einfach immer wieder neue Wirkstoffe zu entwickeln und sich so in eine unendliche Spirale zu begeben, sondern den Umgang und Einsatz von Pflanzenschutzmitteln grundsätzlich und von Grund auf überdenken.

Der Klimawandel wird die Landwirtschaft unweigerlich vor weitere Herausforderungen stellen und tut dies bereits heute. In einem Jahr ist es die übermäßige Nässe, im nächsten die Dürre. Zudem ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass neue Schadinsekten aus dem Mittelmeerraum einwandern.

Um gute Ernten zu erzielen, brauchen wir gesunde Pflanzen. Diese benötigen einen gesunden Boden. Maßnahmen, die genau dies fördern, nennt man vorbeugende Maßnahmen. Der integrierte Pflanzenschutz (IPS), der in Deutschland schon seit 2013 gesetzlich vorgeschrieben ist, sieht genau dies vor, hat jedoch letztlich nie den Weg in die gängige landwirtschaftliche Praxis gefunden. Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln wäre auch hier als Notfalloption zulässig, die Einsatzmenge insgesamt würde sich jedoch deutlich reduzieren. Eine konsequente Umsetzung von IPS wäre daher ein Gewinn für die Betriebe (resistentere Pflanzen) und für die Natur (weniger Pflanzenschutzmittel).  

Negative Folgen für Umwelt und Natur

Denn der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln wirkt sich negativ auf Umwelt und Natur aus. Das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) hat Kleingewässer auf ihre Belastung mit Pflanzenschutzmitteln untersucht. Das Ergebnis ist ernüchternd: In 80 Prozent der untersuchten Bäche wurden Grenzwerte überschritten. Auch die Artenzusammensetzung der Gewässer ändert sich mit zunehmendem Belastungsgrad. Das groß angelegten Forschungsprojekt DINA untersuchte derweil die Insektenvielfalt in Schutzgebieten und kam zu dem Schluss, dass auch Schutzgebiete und darin lebende Insekten mit Pflanzenschutzmitteln aus der Landwirtschaft belastet sind.  

Die große Frage ist jedoch: Kann Ackerbau ohne beziehungsweise mit reduziertem Pflanzenschutzmittel-Einsatz funktionieren und was bedeutet dies für die Erträge? Eine Feldstudie des Thünen-Institutes ist der Frage nachgegangen, wie Landwirt*innen sich anpassen würden, wenn ein politisches Reduktionsziel gesetzlich vorgegeben wäre. Es zeigten sich vielfältige Anpassungsmöglichkeiten, wie zum Beispiel die Wahl weniger giftiger Mittel, mechanische Bodenbearbeitung statt des Einsatzes von Totalherbiziden oder der Anbau anderer Kulturarten, die weniger PSM-Einsatz erfordern. In der Studie wurde gezeigt, dass bei einer Reduktion der PSM um 25 Prozent von einem Ertragsrückgang von nur etwa vier Prozent ausgegangen werden kann.

Wie funktioniert Ackerbau ohne chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel?

Ein Forschungsprojekt der Uni Hohenheim (NOcsPS) untersuchte zudem, wie Ackerbau mit Verzicht auf chemisch-synthetische PSM, aber mit Einsatz von Düngemitteln funktionieren kann, und betrachtete dabei ökologische, ökonomische und soziale Auswirkungen. Das System, genannt „Landwirtschaft 4.0“, erzeugt Erträge mit Anbaumethoden zwischen dem ökologischen und konventionellen Anbau. Es zeigt, mit welchen pflanzenbaulichen Anpassungen auf PSM verzichtet werden kann, beispielsweise, wenn der Aussaatzeitpunkt später gewählt wird und der Reihenabstand größer ist. Ein größerer Reihenabstand fördert eine bessere Durchlüftung des Bestandes und beugt damit Pilzbefall vor.

Es wurde zwar nachgewiesen, dass der Arbeitsaufwand durch mechanische Unkrautbekämpfung mit Striegel und Hacke höher ist als die Überfahrt mit der Pflanzenschutzspritze, es zeigte sich aber auch ein deutlich positiver Effekt auf die Artenvielfalt. Die Akzeptanz der Betriebsleitenden für dieses System könnte dabei durch Vertriebs- und Vermarktungsstrukturen gefördert werden, Mehrkosten könnten beispielsweise auch durch die Verbraucher*innen mitgetragen werden. Das Projekt zeigte im Ergebnis somit einen gangbaren, realistischen Weg zwischen öko und konventionell auf.

In großem Maßstab wird dies in ähnlicher Form bereits in der Schweiz (IP Suisse) praktiziert. Dort haben sich 18.500 Bäuer*innen zusammengeschlossen, um ihr Getreide mit geringem PSM-Einsatz anzubauen und unter einem gemeinsamen Label zu vermarkten.  

Landwirtschaftliche Betriebe unterstützen

Unser Fazit: Die Forderung des Bauernverbands nach mehr Wirkstoffen ist einfach, aber bei weitem nicht die sinnvollste und nachhaltigste Lösung. Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln muss mittelfristig reduziert werden – für die Artenvielfalt, für sauberes Wasser und unsere Gesundheit. Dies wird jedoch vermutlich immer mit einem leichten Ertragsrückgang und höherem Arbeitsaufwand verbunden sein. Deswegen ist es wichtig, dass landwirtschaftliche Betriebe hierbei unterstützt werden. Das kann über entsprechende Förderprogramme, wie in der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP), oder auch Projekte wie die Vermarktung von pflanzenschutzmittel-freiem Brot (wie im NOcsPS Projekt) angestoßen werden.

Entscheidend ist jedoch auch der Ausbau vorbeugender Maßnahmen – dies hilft dem Pflanzenbau auf vielfältige Weise und bedeutet einen konsequenten systemischen Ansatz hin zu einer klimawandelangepassten Landwirtschaft. Denn nur gesunde Böden und Pflanzen können den neuen Klimabedingungen wirklich besser begegnen. 

Dieser Artikel ist wurde von Laura Henningson verfasst und erschien zuerst im NABU-AGRAR-BLOG.


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