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Vollständige Gentechnik-Kennzeichnung gefordert

Lebensmittelhersteller und Handel appellieren an Politik

Anlässlich der Lebensmittelmesse Anuga im Oktober 2023 haben sich verschiedenste Unternehmen der Lebensmittelbranche zusammen mit dem Verband Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG) und der Assoziation ökologischer Lebensmittelhersteller (AöL) an die Politik in Berlin und Brüssel gewandt und appellieren, die bisherige vollständige Gentechnik-Kennzeichnung zu bewahren. Damit widersprechen sie deutlich den Plänen der EU-Kommission, die fast alle Lebensmittel, die mit neuer Gentechnik (NGT) hergestellt wurden nicht mehr kennzeichnen will und diese auch keiner Risikoprüfung, Kontrolle und Koexistenzregelungen mehr unterziehen will.

REWE fordert komplettes Zulassungsverfahren für NGT

 „Rechtssicherheit und Transparenz haben für uns als REWE Group seit jeher oberste Priorität in der Auseinandersetzung mit neuen gentechnischen Verfahren. Es ist aus Sicht der REWE Group auch im Bereich der neuen gentechnischen Verfahren erforderlich, unter Verwendung dieser Techniken hergestellte Produkte einem Zulassungsverfahren einschließlich einer Risikoprüfung zu unterwerfen und die Prinzipien Rückverfolgbarkeit, Vorsorge und Kennzeichnung weiterhin zu berücksichtigen. Nur so können Wahlmöglichkeit und eine eigenverantwortliche Kaufentscheidung auch zukünftig gewährleistet werden,“ erklärte Dr. Daniela Büchel, Vorstandsmitglied der REWE Group.

Deregulierung ablehnen

Der aktuelle Vorschlag der EU-Kommission sieht vor, fast alle neuen Gentechnik-Pflanzen aus der bisherigen Regulierung nach Gentechnik-Recht auszunehmen. Das würde nach Recherchen des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) 94 Prozent der zu erwartenden NGT-Pflanzen betreffen. Würde der Gesetzes- Vorschlag so angenommen, würden nahezu alle neuen Gentechnik-Pflanzen nicht mehr einer Risikoprüfung und -bewertung unterfallen, kein Zulassungsverfahren durchlaufen, es bestünde keine Verpflichtung ein Nachweisverfahren und Referenzmaterial zu liefern, es soll keine Rückverfolgbarkeit und keine Rückholbarkeit mehr geben. Zudem würden alle Schutzmaßnahmen entfallen, um die Lebensmittelerzeugung frei von Kontaminationen zu halten. Auch Haftungsregelungen sollen entfallen. Dass das abzulehnen ist, zeigen auch die weiteren Reaktionen der Lebensmittelunternehmen und Verbände.

Erfolgsmodell Gentechnikfreiheit

Heike Moldenhauer Generalsekretärin bei ENGA (European Non-GMO Industry Associa­tion) machte bei einer Anuga-Veranstaltung deutlich, dass der Vorschlag der EU-Kommis­sion einseitig die Interessen der Gentechnik-Firmen begünstigen würde. Die Interessen des EU-Lebensmittelsektors und der gentechnikfreien Lebensmittelerzeugung würden übergangen. Die Kosten zur Sicherstellung der Gentechnikfreiheit würde komplett dem gentechnikfreien Sektor auferlegt. Das sei zutiefst ungerecht. Zudem setze der Vorschlag das Vertrauen der Verbraucher:innen in Lebensmittel aufs Spiel. Moldenhauer forderte: „Eine klare und vollständige Gentechnik-Kennzeichnung ist ein Muss für Verbrauche­r:in­nen und Wirtschaft. Für die europäische Lebensmittelwirtschaft ist Gentechnikfreiheit ein Erfolgsmodell, gleichermaßen für konventionelle und Bio-Produkte.“

Rechtssicherheit für gentechnikfreie Produktion sichern

Wolfgang Ahammer, Geschäftsführer bei VFI Oils for Life, der größte österreichische Produzenten von pflanzlichen Ölen und Fetten beleuchtete die Folgen der geplanten Verordnung. Die aktuelle Gentechnikregelung biete Rechtssicherheit für alle Akteure, insbesondere auch der gentechnikfreien Wirtschaft. Nach den Plänen der Kommission würde der Aufwand und die Kosten massiv ansteigen, um sicherzustellen, dass die Prozesskette gentechnikfrei bliebe. Zudem fehlten jegliche Kontrollmöglichkeiten durch die Behörden. Völlig unklar seien die Haftungsregelungen: „Wer übernimmt Verantwortung, wenn neue Gentechnik-Pflanzen zu Versuchszwecken freigesetzt oder großflächig angebaut werden und wenn durch Intransparenz die Gentechnikfreiheit der Prozesskette nicht mehr sichergestellt wird?“, so Ahammer. Sein Fazit: „Für uns als Hersteller, die sich für Lebensmittel ,Ohne Gentechnik‘ und Bio-Lebensmittel engagieren, ist es wichtig, dass dieser Status durch eine konturierte Zulassungspraxis und durch Einhaltung wichtiger marktwirtschaftlicher Prinzipien wie Transparenz, Beweislast des Anwendenden und Produkthaftung gesichert wird.“

Affront gegen Wahlfreiheit und Transparenz

Alexander Hissting, Geschäftsführer des Verbandes Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG) wies auf aktuelle Umfragen der Verbraucher:innenorganisation Foodwatch und des VLOG hin. Danach fordern über 90 Prozent der Deutschen Risikoprüfung und Kennzeichnung auch für neue Gentechnik. Über 80 Prozent äußern die klare Erwartung, dass „Ohne Gen­tech­nik“ auch „ohne neue Gentechnik“ bedeutet. Hissting betonte, der Gesetzes-Vor­schlag dürfe so nicht durchkommen, das wäre ein Affront gegen Wahlfreiheit und Trans­pa­renz – außerdem  schicke sich die EU-Kommission an, nachhaltige Unternehmens­werte in enormem Umfang zu vernichten und das Vertrauen der Verbraucher:innen in Politik und Lebensmittelwirtschaft zu erschüttern. „Dazu darf es nicht kommen,“ forderte Hissting.

Verursacherprinzip und Haftung

Ähnlich sieht es die Assoziation ökologischer Lebensmittelhersteller (AöL). Brunhard Kehl unterstrich: „Es ist zentral, dass in Bezug auf NGTs das Verursacherprinzip, Haftung der Produzierenden und die zugehörige Transparenz gesichert wird, um die Funktionalität in der Marktwirtschaft und Koexistenz verschiedener Produktionsformen zu gewährleisten.“ Die Unternehmen und Verbände wollen ab sofort  den Erhalt der vollständigen Gentechnik-Kennzeichnung gemeinsam noch nachdrücklicher öffentlich sowie gegenüber Politik und Regierung thematisieren.


Dieser Artikel von Annemarie Volling ist zuerst in der Unabhängigen Bauernstimme 11/2023 erschienen.