„Wunschkonzert statt durchdachte Agrarpolitik“
Hannes Lorenzen, Vorsitzender der europäischen Verbändeplattform ARC 2020, über Zustand und Aussichten der EU-Agrarpolitik
Unabhängige Bauernstimme: In vielen europäischen Ländern gab es in den letzten Monaten massive Proteste von Bäuerinnen und Bauern. Je nach Land spielten dabei unterschiedliche agrarpolitische Themen eine Rolle, selbst innerhalb der Länder gab es ein vielfältiges Bild von Forderungen und viel Unzufriedenheit und Wut. Was war da los?
Hannes Lorenzen: Ich glaube, bei genauerem Hinsehen war die Vielfalt an Frustrationen und Forderungen während der Proteste selbst für Interessierte nicht so leicht erkennbar – und genau darin liegt das Problem. Die Bauernverbände der europäischen Dachorganisation Copa-Cogeca hatten den zum Teil sehr unterschiedlichen berechtigten Ärger der Bäuerinnen und Bauern mit sehr vereinfachten Parolen auf Linie gebracht. Es wurde pauschal gegen den Green Deal, Bürokratie, Umweltmaßnahmen und die EU – in Deutschland gegen die Ampel – mobilisiert. Die europaweite Mobilisierung war von der Copa schon länger so geplant und wurde in dem Moment strategisch angeschoben, als in den Mitgliedstaaten die konkrete Umsetzung des Green Deal für die Landwirtschaft anstand.
Wie wurde für die Proteste mobilisiert?
In Spanien wurden die Schweineerzeuger gegen Tierschutzmaßnahmen auf die Straße gebracht, in Frankreich und Belgien die Milchviehhalter gegen die Marktordnung, in Polen und anderen osteuropäischen Staaten die Getreideerzeuger gegen die Importe aus der Ukraine. In Deutschland hat die Streichung der Dieselsubventionen das Fass zum Überlaufen gebracht. Aber die Stimmung hat auch dort schon lange vorher an diversen anderen Stellen gekocht: Umbau der Tierhaltung ohne ausreichende Förderung, sinkende Erzeugerpreise bei Milch und Fleisch, unfairer Wettbewerb auf dem Weltmarkt, ungenügender Importschutz. Selbst diejenigen, die schon lange auf dem Weg in eine neue Agrarkultur unterwegs sind, die der Klimakrise und vielfältigen anderen Herausforderungen gerecht wird, hatten gute Gründe mitzudemonstrieren. Aber es war für letztere ungeheuer schwer, sich von der aggressiven Stimmungsmache der etablierten Bauernverbände und vor allem von der extremen Rechten ausreichend sichtbar abzusetzen mit differenzierten Forderungen wie solchen, die zum Beispiel die Borchert-Kommission vorgebracht hatte.
Was ist nach den Protesten in der öffentlichen Meinung übrig geblieben?
Nach den monatelangen Bauerndemos ist in den Köpfen leider ein völlig falscher Eindruck hängen geblieben: Die Bauern waren viele, laut, radikal und deshalb erfolgreich. Sie sind jetzt Bürokratie und unsinnige Umweltvorschriften los. Also alles gut.
Das stimmt so nicht. Der Kern des Problems liegt woanders: Die GAP treibt Bäuerinnen und Bauern seit Jahrzehnten in die falsche Richtung und immer weiter auseinander. Der zerstörerische Wachstumszwang bleibt jetzt genauso wie die unfaire Subventionspolitik. Das wollen die konventionellen Bauernverbände, Copa und der agrarindustrielle Komplex auch so. Vor den Wahlen zum Europäischen Parlament (EP) muss dies klargestellt werden, und zwar von den gesellschaftlichen Bündnissen und der Wissenschaft, die sich bisher offenbar noch nicht auf eine klare gemeinsame Linie einigen konnten. „Wenn die Ampel ausfällt, gilt nur noch rechts vor links“ – das war ein schöner Spruch, aber eben nur für diejenigen, die solidarisch mitdemonstriert haben, aber im Grunde anderer Meinung waren. Die gesellschaftlichen Bündnisse jenseits der etablierten Bauernverbände dringen deshalb nicht in der Öffentlichkeit durch, weil sie sich auf Rettungsversuche einer GAP beschränken, die immer mehr an politischer Substanz verliert und sich in Details von Maßnahmen verlieren, die schon gar nicht mehr zur Debatte stehen. In Deutschland wird mit den Forderungen der Zukunftskommission ein Kompromiss mit dem Bauernverband verteidigt, der weder von der Ampel umgesetzt noch vom Agrarbündnis überzeugend erklärt wird. Die Zivilgesellschaft muss sich jetzt mit einer klaren Botschaft europaweit zusammenraufen: Wir haben eine überholte und unfaire Agrarpolitik satt! Und wir haben machbare Vorschläge.
Welche Rolle hat das Europäische Parlament beim Schnellverfahren zur Korrektur der GAP gespielt?
Die Abschaffung des Green Deal ist Initiative und Programm der extremen Rechten und der Konservativen. Kommission, Rat und Parlament haben diese Forderungen im Hau-Ruck-Verfahren durchgezogen, gegen bestehende demokratische Verfahrensregeln. Leider haben auch Teile der Sozialisten und Liberalen mitgemacht. Frau von der Leyen hat den Rollback beim Green Deal höchstpersönlich angeordnet. Sie kandidiert erneut als Kommissionspräsidentin und sie geriert sich jetzt als Bauernfreundin: Der Green Deal der GAP, sagt sie, war ein Fehler, den sie nun reumütig korrigiert. Die vorgezogene GAP-Reform lässt alle wirklich zentralen Probleme der GAP unberührt – unfairer Wettbewerb auf den Weltmärkten, unfaire Verteilung der Hektarprämien, unfaire zentrale Infrastruktur nur für Großbetriebe, ungebremste Marktmacht der Zuliefer- und Verarbeitungsindustrie und der Discounter und Supermärkte. Sie nimmt damit in Kauf, dass die notwendige Transformation des Agrarsektors im Hinblick auf die Klimakrise und das Artensterben verschleppt wird oder zum Stillstand kommt. Sie hat den Green Deal in der Agrarpolitik in den vergangenen drei Monaten schlichtweg unterpflügen lassen, bevor in den Mitgliedstaaten irgendetwas Konkretes davon umgesetzt werden konnte. Sie hat die einfachen Antworten der AfD übernommen: Green Deal weg. Einfacher geht’s nicht.
Das ändert nichts an der Tatsache, dass die Umwelt- und Klimamaßnahmen in der GAP mit hohem bürokratischem Aufwand verbunden waren.
Das ist der Preis, wenn man die Reform der GAP nicht wirklich will. Dann ist alles Kleinkram, grüne Fassade, Zuckerguss, und dann muss man alles im Detail kontrollieren, weil es keinen Sinn macht. Es war kein Wille da, den Pestizideinsatz tatsächlich zu reduzieren; jetzt wird gar nicht reduziert. Farm to Fork war ein schönes Bild, ist aber letztendlich nicht zu Ende gedacht worden, weil die Interessen der Food-Industrie massiv dagegen standen und sinnvolle Maßnahmen verhindert haben. Nachhaltige Ernährungssysteme kamen gar nicht erst als legislativer Vorschlag auf den Tisch, das Naturschutzgesetz wurde bis zur Unkenntlichkeit gerupft. Bodenverbesserung, Fruchtfolgen, Arten- und Tierschutz, alles freiwillige Maßnahmen für Motivierte. Das ist ein Wunschkonzert, keine Agrarpolitik. Mit der Bürokratie ist auch die Ambition einer Agrarwende verschwunden.
Welche Herausforderungen stehen für die nächste GAP-Reform ab 2027 an, mit der sich ein neu gewähltes EU-Parlament beschäftigen muss?
Die aktuellen Beschlüsse von Rat und EP schießen die GAP zurück auf den Stand von vor zwanzig Jahren. Da wird das neue Parlament neu beginnen müssen. Nehmen wir mal die unwahrscheinliche optimistische Variante: Es gibt Mehrheiten jenseits der Konservativen und der extremen Rechten zusammengenommen. Dann müsste eine zukunftsfähige GAP komplett neu gestartet werden. Die AbL fordert das seit Jahren, die europäischen Verbändeplattformen auch. Wir brauchen prioritär umfassende ländliche Entwicklungsmaßnahmen, die Sicherung und Stärkung der kritischen ländlichen Infrastruktur wirtschaftlich, dezentral, sozial, Strukturen für Lagerung, Verarbeitung, Vermarktung von Lebensmitteln und Rohstoffen für bäuerliche Betriebe. Das ist Voraussetzung für einen fairen Wettbewerb. Bisher ist die ländliche Entwicklungsförderung entweder Teil der Wachstums-, Regional- und Konzentrationspolitik, die genau diese kritische Infrastruktur gefährdet, oder Teil der GAP, die mit der zweiten Säule ausgleichen soll, was die erste Säule kaputt macht. Zu einer konsequenten Agrarwende gehören auch ein effektiver Außenschutz gegen Sozial- und Ökodumping-Importe und eine öffentliche Beschaffungspolitik.
Vielen Dank für das Gespräch!
Dieser Artikel ist zuerst in der Unabhängigen Bauernstimme erschienen.
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