Alles rund um Gentechnik auf unseren Tellern und Äckern
Selten sind sich die Menschen hierzulande so einig, wie wenn es um die Agro-Gentechnik geht. In Deutschland lehnen vier von fünf Menschen die Risikotechnologie ab. Das belegen Zahlen aus dem Jahr 2017, als sich 79 Prozent der Deutschen für ein Gentechnikverbot aussprachen. In neun Punkten geht es hier um Anbau, Zulassungsverfahren und Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) in Deutschland und der Europäischen Union. Die meisten gesetzlichen Bestimmungen werden auf EU-Ebene vorgeschlagen, beraten und beschlossen. Im globalen Vergleich gilt: Europa hat weltweit die strengsten Zulassungs- und Kennzeichnungsvorschriften für gentechnisch veränderte Lebensmittel. Doch was heißt das konkret für die Gentechnik auf unseren Äckern und Tellern?
1. Anbau zugelassener GV-Pflanzen in der EU
Die EU hat bisher nur zwei gentechnisch veränderte Pflanzen für den kommerziellen Anbau genehmigt. 1998 wurde der gentechnisch veränderte Mais MON810 zugelassen. Doch nationale Verbote in mehreren EU-Ländern verbieten den Anbau: In Deutschland, Frankreich, Griechenland, Luxemburg, Österreich, Polen, Bulgarien und Ungarn ist es verboten, die Monsanto-Maissorte zu pflanzen. Aber nicht in allen EU-Ländern sind die Gesetze so strikt. So wurde MON810 im Jahr 2017 in Portugal, Tschechien, Rumänien, der Slowakei und in Spanien angebaut, wo mit 94% der allergrößte Teil der Anbauflächen liegt.
Die Gen-Kartoffel Amflora war in der EU von 2010 bis 2013 zugelassen. Aufgrund von Fehlern im Zulassungsverfahren nahm der Europäische Gerichtshof diese Entscheidung im Dezember 2013 wieder zurück. Die Kartoffel wurde seit 2011 ohnehin nicht mehr angebaut.
2. Anbau in Deutschland
MON810 war hierzulande für den kommerziellen Anbau von 2005 bis 2008 zugelassen. Nach jahrelangen Protesten kam es im April 2009 zum Verbot. Die Anbauflächen von rund 3.000 Hektar lagen hauptsächlich in Brandenburg, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt. Auch die Gen-Kartoffel Amflora wurde in Deutschland angebaut, im Jahr 2010 wuchs sie auf 15 Hektar in Mecklenburg-Vorpommern.
Auch wenn heute in Deutschland keine Gentechnik mehr auf den Äckern zu finden ist, werden immer noch für Versuchszwecke GV-Pflanzen angebaut. Darunter fallen Sorten von Sommerweizen, Kartoffeln, Zuckerrüben und Mais. Das offizielle Standortregister zeigt zuletzt für das Jahr 2015 GV-Pflanzen im Freiland. Noch immer betreiben jedoch Forschungsinstitute und Agrarkonzerne in Gewächshäusern Grundlagen- und Risikoforschung mit Gentechnik.
3. Zulassungsverfahren auf europäischer Ebene
Prinzipiell ist die Nutzung – das heißt sowohl Anbau als auch Import – von GVOs in der EU und Deutschland erlaubt, wobei bisher allerdings nur der Anbau des Gen-Mais MON810 zugelassen ist. Eine EU-Richtlinie und eine EU-Verordnung regeln die Zulassung von Gentechnik. Dabei wird zwischen der Ausbringung in die Umwelt infolge von Anbau oder Einfuhr und dem Inverkehrbringen von Lebens- und Futtermitteln unterschieden. Zulassungen zur Ausbringung in die Umwelt folgen der EU-Freisetzungsrichtlinie. Was letztendlich auf unseren Tellern landet, reguliert die EU-Verordnung über GV-Lebens- und Futtermittel, die verbindlich für alle EU-Länder gilt.
Vor jedem Zulassungsverfahren über GV-Lebens- und Futtermittel findet eine Risikobewertung durch die EFSA, der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, im Stufenprinzip statt. Diese reicht von Labortests in Gewächshäusern bis hin zu Freisetzungsversuchen. Wenn sich im Verfahren keine unvertretbaren Risiken zeigen, kann die Zulassung beantragt werden. Dabei gibt die EFSA eine Empfehlung an die EU-Kommission ab. Die Qualität der Gutachten ist allerdings zweifelhaft. In der Vergangenheit ist die EFSA häufig als zu oberflächlich und industrienah kritisiert worden (siehe Punkt 5).
Auf Grundlage der Sicherheitsbewertung durch die EFSA macht die EU-Kommission einen Vorschlag für die Zulassung oder Ablehnung des Antrags. Die Entscheidung trifft letztendlich der „Ständige Ausschuss für die Lebensmittelkette und Tiergesundheit“, in dem alle Mitgliedstaaten vertreten sind. Für eine Genehmigung ist eine qualifizierte Mehrheit nötig. Damit ist gemeint, dass sowohl die Zustimmung der Mehrheit der Mitgliedstaaten als auch die Mehrheit der Stimmen insgesamt erzielt werden muss. Stimmt der Vorschlag der EU-Kommission nicht mit der Entscheidung des Ständigen Lebensmittelausschusses überein, wird die Entscheidung an den EU-Ministerrat weitergegeben. In Fällen, in denen auch nach mehreren Durchläufen keine Übereinkunft mit dem Vorschlag der EU-Kommission erzielt werden kann, liegt es an der EU-Kommission selbst, den Vorschlag in Kraft zu setzen oder fallen zu lassen. Insgesamt dauert das Zulassungsverfahren in der Regel mehrere Jahre. Entscheidungen gelten für die gesamte Union, die nationalen Regierungen haben die Aufgabe diese in ihren Ländern umzusetzen. Genehmigte Anbaustandorte werden in einem öffentlichen Register bekannt gegeben.
4. Nationale Verbote sind möglich
Im Bedarfsfall können einzelne Mitgliedsstaaten nationale Verbote aussprechen. Das kann über zwei Wege geschehen: über die „Schutzklausel“ oder die „Opt-Out“ Option. Die „Schutzklausel“ leitet sich aus Regulierungen der EU-Freisetzungsrichtlinie (Art. 23) und EU-Verordnung über GV-Lebens- und Futtermittel (Art. 34) ab. Nationale Verbote unter „Schutzklausel“ werden im Zuge des Zulassungsverfahrens für jede Pflanze einzeln geprüft und verhängt. Kurzfristig und vorübergehend kann so auf nationaler Ebene die Verwendung von GV-Lebens- und Futtermitteln eingeschränkt oder auch untersagt werden. Da die EFSA solche Verbote als Angriff auf ihren Zuständigkeitsbereich deutet, müssen Mitgliedstaaten, die sich für ein Verbot entscheiden, mit einem Rechtsstreit rechnen.
Eine andere Variante für Genverbote trotz EU-Zulassung ist das sogenannte „Opt-Out“, welches Anfang 2015 mit einer Änderung der EU-Freisetzungsrichtlinie beschlossen wurde. Hier können Mitgliedstaaten selbst über Anbau-Verbote entscheiden und sich mit den Antragstellern, üblicherweise den Herstellern, über Verzichte einigen. Aber: Als Begründung dürfen nur sozioökonomische, landwirtschaftspolitische oder kulturelle Gründe genannt werden, nicht jedoch Zweifel im Zusammenhang mit der Umwelt- und Produktsicherheit. Im Zuge der „Opt-Out“-Richtlinie hat Deutschland alle Antragsteller kategorisch dazu aufgefordert, das gesamte deutsche Hoheitsgebiet von Anbaugenehmigungen auszuschließen. Bisher hat kein Antragsteller dieser Aufforderung widersprochen.
In Deutschland bildet zudem das Gentechnikgesetz den gesetzlichen Rahmen. Zweck des Gesetzes ist der Schutz vor möglichen Gefahren, aber auch die Ermöglichung von Forschung und Nutzung. Für Landwirt*innen, die gentechnisch veränderte Pflanzen anbauen, gibt es weiterhin eine Verordnung über die gute fachliche Praxis bei der Erzeugung gentechnisch veränderter Pflanzen (GenTPflEV).
5. Mangelnde Unabhängigkeit der europäischen Kontrollbehörde EFSA
Die Arbeit der EFSA wird im Zusammenhang mit der Risikobewertung von GVOs seit Jahren wegen ihrer mangelnden Unabhängigkeit kritisiert. Konkret fehlt es bei der Risikobewertung an unabhängiger Sicherheitsforschung. In der gängigen Praxis führen die Gentechnik-Unternehmen die Studien, die als Grundlage für die Zulassung von GV-Pflanzen dienen, selbst durch. Unabhängige Studien werden oft nicht hinzugezogen. Laut Spiegel hat die EFSA 2017 versucht, die Veröffentlichung von Studien über Glyphosat zu verhindern, um die Geschäftsinteressen von Monsanto (jetzt: Bayer) und Cheminavo nicht zu gefährden. Testbiotech zeigte dabei, dass die EFSA unterschiedliche Standards bei der Bewertung wissenschaftlicher Studien ansetzt.
Darüber hinaus wird den Wissenschaftler*innen der Lebensmittelbehörde von verschiedenen NGOs und Teilen des EU-Parlaments vorgeworfen, eng mit Gentechnik-Unternehmen verstrickt zu sein. Noch im Jahr 2017 hat die NGO „Corporate Europe Observatory“ herausgefunden, dass 46 Prozent der EFSA-Ausschussmitglieder einen finanziellen Interessenskonflikt mit Unternehmen aus der Agrar- und Lebensmittelbranche haben. Zahlreiche Beispiele der letzten Jahre belegen, wie nah die europäische Lebensmittelbehörde der Industrie steht. So waren EFSA-Mitarbeiter*innen in Vorständen von Industrieverbänden tätig, arbeiteten jahrelang gleichzeitig bei Gentechnik-Konzernen oder wechselten unmittelbar nach der Tätigkeit bei der EFSA zu eben diesen. Insbesondere gab es Verstrickungen mit dem weltweit agierenden Industrielobbyverband International Life Science Institute (ILSI), dem europäischen Lebensmittelindustrieverband FoodDrinkEurope, den Gentechnik-Konzernen Bayer-Monsanto, Dow AgroSciences und Syngenta. Nach Einschätzung von Testbiotech hatten nach der Neubesetzung des wissenschaftlichen Gremiums der EFSA im Jahre 2012 mehr als die Hälfte der Mitglieder Verbindungen zur Industrie oder galten als Agrogentechnik-Befürworter*innen. Das führte dazu, dass Versatzstücke oder ganze Textpasssagen aus Industrietexten ihren Weg in die Prüfrichtlinien der europäischen Lebensmittelbehörde fanden.
Auch wenn zwischenzeitlich Maßnahmen für mehr Transparenz beschlossen wurden, um die Behörde vor äußeren Einflussnahmen zu schützen, hält die Kritik vieler NGOs an. Es müsse auch öffentlich gemacht werden, wer die wissenschaftlichen Studien finanziert, auf deren Grundlage die EFSA und die EU-Kommission ihre Empfehlungen abgeben. Die eingeführte sogenannte „Cooling-Off-Periode“, in der Mitarbeiter*innen nicht die Seiten wechseln dürfen, sollte von zwei auf fünf Jahre erhöht werden. Nach Ansicht der EFSA würden härtere Regulierungen die Suche nach qualifizierten Wissenschaftler*innen jedoch aussichtslos machen.
6. Import von gentechnisch veränderten Lebens- und Futtermitteln
Zwar werden in Deutschland gentechnisch veränderte Pflanzen derzeit nur zu Forschungszwecken angebaut – importiert werden sie jedoch massenhaft. Ohne Zulassung dürfen gentechnisch veränderte Lebens- und Futtermittel in der EU nicht in den Verkehr gebracht werden. Derzeit gibt es aber ungefähr 50 Zulassungen für die Einfuhr aus Drittstaaten in die EU. Bei diesen Nutzpflanzen handelt es sich um Mais-, Baumwolle-, Soja-, und Rapssorten sowie einer Zuckerrübensorte.
Jährlich importiert die EU rund 31 Tonnen Sojabohnen aus Nord- und Südamerika. Deutschland führt für die Verwendung im Inland vier bis fünf Tonnen pro Jahr ein, wovon maximal 20 Prozent gentechnikfrei sind. Das Sojaschrot, das als Futtermittel in der Tierhaltung dient, richtet auch in den Herkunftsländern gravierende Schäden an. Die Erzeugung von in Deutschland verfüttertem Soja und Mais belegt in den Ländern des Südens enorme Flächen, die dort als Äcker für die lokale Bevölkerung fehlen. Die zusätzlichen Anbauflächen werden oft durch die Umwandlung von Savannen und Regenwäldern in Ackerland gewonnen. Importiertes Soja ist dabei fast immer gentechnisch verändert, da sich in den Haupterzeugerländern USA, Brasilien und Argentinien der Anbau von Gen-Soja als Standard etabliert hat.
7. EU-Kennzeichnungspflicht für Gentechnik
Auf Grundlage der EU-Verordnung über die Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung von GVOs müssen gentechnisch veränderte Organismen, Lebens- und Futtermittel, die aus GVO bestehen oder sie enthalten, gekennzeichnet werden. Eine Kennzeichnungspflicht für Tiere, die mit GVOs genährt wurden, gibt es allerdings nicht. Das heißt, tierische Produkte wie Milch, Eier und Fleisch müssen nicht gekennzeichnet werden, auch wenn die Tiere mit Gen-Soja gefüttert wurden. In Bio-Lebensmitteln ist Gentechnik jedoch grundsätzlich verboten. Eine weitere Ausnahme besteht für Lebensmittelzusatzstoffe, wie Emulgatoren, Stärke, Enzyme oder Vitamine. Der Gentechnik-Einsatz in Form von gentechnisch veränderten Mikroorganismen muss nur deklariert werden, wenn im jeweiligen Zusatzstoff noch Erbgut-Bruchstücke oder Proteine eines gentechnisch veränderten Organismus nachzuweisen wären, was in der Regel nur bei Lecithin aus Gen-Soja der Fall ist. Seit 2014 wurden jedoch immer wieder Gen-Keime für die Herstellung von Zusatzstoffen in bestimmten Futtermitteln nachgewiesen. Zufällige oder unvermeidbare Spuren von GVOs in Lebensmitteln bis zu einem Anteil von 0,9 Prozent müssen auch nicht gekennzeichnet werden, solange die Hersteller*innen nachgewiesen haben, dass die Verunreinigungen unvermeidbar sind.
8. Siegel "Ohne Gentechnik"
Da keine Kennzeichnungspflicht für tierische Produkte aus GVO Fütterung besteht, hat das Bundeslandwirtschaftsministerium 2008 das freiwillige Siegel „Ohne Gentechnik“ eingeführt. Vergeben wird es vom Verband „Lebensmittel ohne Gentechnik e.V.“, der die Markenrechte erhalten hat. Produkte dürfen das Siegel nur tragen, wenn die Tiere innerhalb strenger Fristen nicht mit GVO gefüttert wurden. Es dürfen jedoch Zusatzstoffe und Vitamine im Futter verwendet werden, die mittels Gentechnik hergestellt wurden.
9. Gentechnikfreie Regionen in Deutschland
Im Jahr 2009 hat sich das Netzwerk Gentechnikfreie Regionen in Deutschland als Initiative des Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) und der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) gegründet. Dabei verpflichten sich die teilnehmenden Regionen, Bauernhöfe, Kommunen und Kirchen ihr eigenes Land gentechnikfrei zu bewirtschaften. Kommunalverwaltungen setzen sich dafür ein, dass in den Kantinen, etwa von Ämtern und Schulen, auf gentechnisch veränderte Lebensmittel bzw. tierische Produkte aus Gentechnik-Fütterung verzichtet wird. Die Erklärungen sind verbindlich, jedoch nicht rechtlich verankert. Mittlerweile sind über 30.000 Landwirt*innen beteiligt, die eine Fläche von fast vier Millionen Hektar bewirtschaften.