Hochgefährliche Pestizide im Fokus von SAICM
Über die Notwendigkeit, hochgefährliche Pestizide durch agrarökologische Maßnahmen zu ersetzen
Pestizide sind Substanzen, die designt wurden, um unerwünschte Organismen zu schädigen oder abzutöten. Als einzige Chemikaliengruppe werden sie gezielt in großen Mengen in die Umwelt ausgebracht. Längst lassen sich Pestizide überall auf der Welt in Böden, Gewässern und selbst im Menschen nachweisen. Besonders problematisch sind die sogenannten „Highly hazardous Pestizides (HHPs)“ – zu Deutsch „sehr gefährliche“ beziehungsweise „hochgefährliche“ Pestizide, insbesondere, wenn diese unter Armutsbedingungen angewandt werden. Das internationale Chemikalienmanagement SAICM (Strategic Approach to International Chemicals Amanagement) hat HHPs und die mit ihnen verbundene Gefährdung von Menschen und ihrer Umwelt als ein globales Problem anerkannt und benennt Lösungswege: Der Ersatz von HHPs soll durch agrarökologische Maßnahmen erfolgen. Jetzt gilt es, den Worten auch Taten folgen zu lassen.
Obgleich das Problem von Pestizidvergiftungen seit Jahrzehnten bekannt ist, gibt es hierüber keine aktuelle Statistik. Basierend auf den letzten offiziellen Zahlen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von 1990 muss von derzeit schätzungsweise 41 Millionen Pestizidvergiftungen jährlich ausgegangen werden.
Wie viele davon tödlich enden und wie viele Menschen an Langzeitfolgen wie Krebs, Fruchtbarkeitsstörungen, neurologische Erkrankungen und Hormonstörungen leiden oder daran sterben, ist nicht oder nur lückenhaft dokumentiert. Auch gibt es nur wenige Informationen über pestizidbedingte Veränderungen von Ökosystemen und darüber, was es für nachfolgende Generationen bedeutet, in einer pestizidbelasteten Umwelt aufzuwachsen. Durch neueste Daten der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization, WHO) ist hingegen belegt, dass weltweit ein Fünftel aller Suizide mit Pestiziden verübt werden und seit 1960 schätzungsweise 15 Millionen Menschen durch Selbsttötung mit Pestiziden gestorben sind. Bekannt ist auch, dass ein Verbot von HHPs nachweislich die Anzahl an Selbsttötungen reduziert. Ein Beispiel hierzu kommt aus Sri Lanka. Dort haben Pestizid-Verbote dazu beigetragen, dass es zwischen 1995 und 2015 93.000 weniger Selbstmordopfer gab.
Besonders gefährdet: Länder des globalen Südens
Insbesondere in Ländern, in denen ein soziales, ökologisches und arbeitsrechtliches Schutzsystem nur schwach ausgebildet ist, sind die Anwendung, Lagerung und Entsorgung von Pestiziden mit erheblichen Risiken verbunden. Obgleich in Entwicklungsländern lediglich rund 25 Prozent der globalen Pestizidmenge eingesetzt wird, ereignen sich dort nach Aussage der WHO 99 Prozent aller tödlichen Pestizid-Vergiftungsfälle. Jüngste Befragungen in sieben asiatischen Ländern durch die Welternährungsorganisation (Food and Agricultural Organization, FAO), das Pesticides Action Network und der Hanoi National University zeigen, dass dort 70 Prozent der PestizidanwenderInnen in ländlichen Gebieten unter akuten Pestizidvergiftungen leiden.1 Zu den Vergiftungen kam es u. a. durch HHPs wie Paraquat, Lambda-Cyha-lothrin, Chlorpyrifos und Glyphosat. Ähnlich hohe Vergiftungszahlen werden aus Lateinamerika berichtet. Das brasilianische Gesundheitsministerium meldete 15.018 Fälle von Pestizidvergiftungen in 2018, geht aber von einer tatsächlich viel höheren Zahl aus. Auch in den Industriestaaten kommt es zu akuten Vergiftungen und chronischen Erkrankungen durch Pestizide. Außerdem tragen umweltgefährliche Pestizide zur Verunreinigung von Gewässern und Böden und zum Verlust der Artenvielfalt bei.
Krebserregend? Fruchtbarkeitsschädigend? Umweltgefährdend?
Nach FAO/WHO sind Pestizide dann „hochgefährlich“, wenn sie ein besonders hohes Potenzial haben, akute oder chronische Gefahren für Gesundheit und Umwelt mit sich zu bringen. Die PAN International List of Highly Hazardous Pesticides basiert auf den FAO/WHO-Kriterien und konkretisiert beziehungsweise erweitert diese.2 Die Liste ermöglicht es Ländern, Kommunen, Anbauorganisationen und anderen Beteiligten, HHPs zu identifizieren und bildet eine Grundlage für deren schrittweises Verbot beziehungsweise deren Ersatz durch umwelt- und sozialverträgliche Alternativen. Derzeit sind in der PAN HHP-Liste 310 Pestizidwirk-stoffe als hochgefährlich gelistet. Das ist ein Drittel der rund 1.000 weltweit angewandten Pestizidwirkstoffe. Nur 34 davon sind derzeit international durch verbindliche Übereinkommen im Handel strenger reguliert oder gänzlich verboten. Dies zeigt einen Mangel an verpflichtenden Regelungen und verdeutlicht zudem die Verantwortung des internationalen Chemikalienmanagements, zu Lösungen des weltweiten Pestizidproblems beizutragen.
Menschenrechtsverletzungen, Krankheit und vergiftete Umwelt – Das Leid hinter den Zahlen
Hilal Elver, die UN-Sonderberichterstatterin für das Recht auf Nahrung stellte in ihrem Bericht 2017 klar, dass gefährliche Pestizide katastrophale Auswirkungen auf die Umwelt, die menschliche Gesundheit und Gesellschaften haben und dass für bestimmte Gruppen ein erhöhtes Risiko für Menschenrechtsverletzungen vorläge. Wie richtig sie damit liegt, verdeutlichte im August das Urteil des UN-Menschenrechtsausschusses. Er machte Paraguay für Menschenrechtsverletzungen durch die großflächige Besprühung von Sojafeldern mit Pestiziden verantwortlich. Hierdurch erlitt die Bevölkerung, einschließlich dort lebender Kinder, Vergiftungen. Wasserressourcen und Grundwasserleiter wurden so verunreinigt, dass sie nicht mehr genutzt werden konnten, Böden und Lebensmitten wurden kontaminiert und es kam zum Verlust von Obstbäumen und zu Ernteausfällen.3
Doppelstandards im Pestizid-Handel tragen zum Leid bei
Es ist allgemein bekannt, dass in Ländern mit mittlerem und niedrigem Einkommen Millionen von BäuerInnen und LandarbeiterInnen Pestizide ohne Schutzkleidung versprühen, weil das Klima zu heiß, die Schutzkleidung zu teuer oder nicht zu bekommen ist. Bekannt ist auch, dass Pestizide dort oft im Wohnhaus gelagert und die vermeintlich leeren Pestizid-Verpackungen wegen fehlender Rücknahmesysteme einfach in die Natur entsorgt werden, wo sie Böden und Gewässer verunreinigen. Dennoch ist es gängige Praxis, dass Länder und Regionen wie die Europäische Union (EU) oder die Schweiz hochgefährliche Pestizide exportieren, die aufgrund ihrer besonderen Gefährlichkeit hier längst verboten sind. Diese Doppelstandards im Pestizidhandel stehen international zunehmend in der Kritik. PAN Germany zeigte in seinem jüngsten Report ‚Giftige Exporte‘, dass Firmen aus Deutschland im Jahr 2017 insgesamt 62 HHPs exportiert haben, von denen neun in der EU keine Genehmigung (mehr) hatten.4 Darunter waren bis zu 10.000 Tonnen des hochgefährlichen Wachstumsregulators Cyanamid, der in der EU schon seit 2008 aufgrund der Gefährdung von AnwenderInnen verboten ist. Cyanamid ist giftig beim Verschlucken, gesundheitsschädlich bei Hautkontakt, kann schwere Au-genschäden, allergische Hautreaktionen und Atemnot hervorrufen und hatte in der EU zu erheblichen Vergiftungen bei italienischen Weinbauern und -bäuerinnen geführt. Die EU und die US-amerikanische Zulassungsbehörde EPA stuften den Wirkstoff zudem als möglicherweise krebserregend beim Menschen ein. Doch ungeachtet dessen werden mit dem Export von Cyanamid gute Geschäfte gemacht und das ganz legal. Noch gibt es weder in Deutschland noch EU-weit ein Gesetz, das Doppelstandards im Pestizidhandel verbietet.
Was muss sich ändern?
Sicher ist: Die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung von 2015 können nicht erreicht werden, wenn der Einsatz hochgefährlicher Pestizide in der Landwirtschaft so weitergeht. Schon im Gründungsdokument für den Strategischen Ansatz zum Internationalen Chemikalienmanagement (Strategic Approach to International Chemicals Management, SAICM; vgl. Seite 2) wurde 2006 auf die Pestizidproblematik verwiesen und gefordert, dass Maßnahmen ergriffen werden, um hochtoxische Pestizide schrittweise aus dem Verkehr zu ziehen. Dabei hat SAICM das Engagement aller im Prozess Beteiligten eingefordert und auf der vierten Internationalen Chemikalienmanagement-Konferenz 2015 den Ersatz von HHPs durch agroökologische Praktiken gefordert. Derzeit wird an der neuen Rahmenvereinbarung für ein SAICM-Folgeabkommen gearbeitet. Ein solches ‚SAICM Beyond 2020‘ wird daran gemessen, wie erfolgreich es dazu beiträgt, die Anzahl und das Ausmaß von Pestizidvergiftungen und Umweltkontaminationen zukünftig zu reduzieren.
- PAN Asia Pacific (2018): Of Rights and Poisons: Accountability of the Agrochemical Industry. Penang. https://panap.net/2018/10/of-rights-and-poisons-accountability-of-the-agrochemical-industry/
- FAO/WHO (2016): International Code of Conduct on Pesticide Management. Guidelines on Highly Hazardous Pesticides. Rom/Genf.http://www.fao.org/3/a-i5566e.pdf.
- https://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=24890&LangID=E.
- PAN Germany (2019): Giftige Exporte. Die Ausfuhr hochgefährlicher Pestizide von Deutschland in die Welt. Hamburg. https://pan-germany.org/download/giftige-exporte-ausfuhr-hochgefaehrlicher-pestizide-von-deutschland-in-die-welt
Autorin: Susan Haffmans
Referentin beim Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN Germany) und Mitglied im Leitungsgremium von PAN International
In: Rundbrief Forum Umwelt & Entwicklung 04/19