„Bäuerinnen und Bauern müssen in den Dialog mit Politik und Gesellschaft“
Kirsten Wosnitza ist Milchbäuerin aus Leidenschaft. In Nordfriesland, unweit der dänischen Grenze, bewirtschaften sie und ihr Mann einen konventionellen Hof mit 120 Milchkühen. Die Wiederkäuer grasen dort, so lange es die Wetterbedingungen hergeben, auf der Weide – mindestens von April bis Oktober. In dieser Zeit kommen die Tiere nur zum Melken in den Stall. Kirsten, die 2018 auf der Auftaktkundgebung der Wir haben es satt!-Demo gesprochen hat, ist aktiv beim Bund Deutscher Milchviehhalter (BDM). Wir haben mit ihr über die Lage der Milchbäuer*innen, die Demonstrationen von „Land schafft Verbindung“ und ihre Erwartungen an die Wir haben es satt!-Bewegung gesprochen.
Kirsten, du hast dich in den 1990er Jahren entschieden, zusammen mit deinem Mann einen Hof zu übernehmen. Wie bist du zur Landwirtschaft gekommen?
Ich bin auf dem Land aufgewachsen, komme aber nicht von einem Hof, deswegen habe ich erstmal eine landwirtschaftliche Lehre gemacht. Anschließend habe ich Agrarwissenschaften in Kiel studiert und im Ausland in der Landwirtschaft gearbeitet. Mich haben Kühe in ihrer Art schon immer begeistert. Und es fasziniert mich, wie diese großen Wiederkäuer aus Gras, das für uns nicht nutzbar ist, so ein hochwertiges Nahrungsmittel wie Milch herstellen können. Wir hatten also unheimlich Glück, eine Familie zu finden, deren Wunsch es war, dass ihr Milchviehbetrieb weiter geführt wird.
Seit ihr angefangen habt, sind mittlerweile über 20 Jahre vergangen. Was hat sich seitdem in der Landwirtschaft verändert?
Viele Betriebe in unserer Gegend haben sich von der Weidehaltung der Milchkühe verabschiedet. Das liegt auch daran, dass auf den Höfen immer weniger Arbeitskraft zur Verfügung steht. Das traditionelle Modell, bei dem Oma, Opa und alle Kinder mithelfen, läuft oft aus. Heute gibt es meist noch eine*n Betriebsleiter*in und teilweise einen Junior, da bleibt nicht genug Zeit, um zwei Mal am Tag die Kühe von der Weide zum Melken zu holen, Zäune zu reparieren, Wasser und Tiere draußen zu kontrollieren und nach Hause zu holen oder raus zu bringen. Außerdem hat sich die Fütterung der Kühe geändert, es wird heute sehr viel mehr Mais eingesetzt, dadurch konnte die Milchleistung der Kühe gesteigert werden. So wird versucht pro Kuh einen höheren Ertrag zu erwirtschaften, der notwendig ist, um überhaupt moderne tierfreundliche Stallungen finanzieren zu können. Irgendwie beißt sich da die Katze in den Schwanz.
In den letzten Jahren lagen die Preise für Milch immer wieder deutlich unter dem, was zur vollständigen Deckung aller Kosten notwendig gewesen wäre. Wie schaffen es Betriebe in dieser Situation überhaupt, in neue tierfreundliche Ställe zu investieren?
(lacht) Das kann gehen, wenn man ein vertrauensvolles Verhältnis zur Bank hat. Oder bereit ist, außerbetriebliches Einkommen in den Hof zu investieren. Außerdem muss man immer wieder in Durststrecken bereit sein, sich selbst auszubeuten, viele Stunden zu machen und nicht immer so an die Altersvorsoge zu denken, wie es eigentlich nötig wäre. Es gibt Zeiten, in denen man sich besser keine Gedanken über die Höhe seines Stundenlohnes macht. Dabei schwingt oft die Hoffnung mit, dass es irgendwann noch mal besser wird. Aber mit Hoffnung allein wird sich nichts ändern. Es braucht politisches Engagement für grundlegende Veränderungen.
Mit dem Bund Deutscher Milchviehhalter (BDM) fordert ihr einen fairen Preis für die Milch, was heißt das?
Der Anteil den die Milchbäuer*innen innerhalb der Kette an der Wertschöpfung bekommen ist alles andere als fair. Um das zu ändern, brauchen wir andere politische Rahmenbedingungen und faire Marktregeln für alle Beteiligten. Bei der aktuellen Reform der Gemeinsamen EU-Agrarpolitik (GAP) kann man da zum Beispiel gegensteuern. Dafür müssen nicht nur die Gelder anders verteilt werden, man muss mit der gemeinsamen Marktordnung, die ja auch Teil der GAP ist, für faire Bedingungen sorgen. Dass das möglich ist, hat man bei der Milchkrise 2015/16 gesehen. Weil es so dramatisch war, wurden die GAP-Kriseninstrumente genutzt und die Milchmenge konnte reduziert und dadurch die Erholung des Milchpreises für die Bäuer*innen beschleunigt werden.
Wer hat ein Interesse an niedrigen Preisen?
Die verarbeitende Industrie und die Ernährungsindustrie verdienen umso mehr, je günstiger sie unsere Milch einkaufen können. Je mehr Menge sie verarbeiten können, desto niedriger sind auch ihre Stückkosten. Daher haben sie ein großes Interesse an hohen Milchmengen am Markt. Als Milcherzeuger*innen sind wir in diesem System die billigen Rohstofflieferanten. Das ist leider so.
Du hast es schon angesprochen, zurzeit wird auf EU-Ebene über die Neuausrichtung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) nach 2020 verhandelt. Was muss sich ändern?
Wir Tierhalter*innen werden von der aktuellen EU-Agrarpolitik und bei der Verteilung der Gelder benachteiligt. Es gibt viele Verbesserungen im Stall, die wir umsetzen sollen und wollen. Während ein Großteil der Agrarprämien an die Bewirtschafter*innen der Flächen gezahlt werden, gibt es für die zusätzlichen Anforderungen in der Tierhaltung kaum Geld aus dem EU-Agrar-Topf. Wir fordern daher neben der Ausgestaltung der gemeinsamen Marktordnung, dass Gelder für die Weiterentwicklung von Tierwohl-Leistungen umgeschichtet werden. Hinzu kommt, dass eine gute Tierbetreuung nur mit Einsatz von ausreichenden Facharbeitskräften möglich ist – und auch die wollen wir fair bezahlen können!
In den letzten Wochen gab es, aufgerufen von „Land schafft Verbindung“, teils große Traktor-Demonstrationen. Um was geht es dabei?
Da entlädt sich der Frust, der sich bei den Bäuer*innen über Jahre aufgestaut hat. Die wirtschaftliche Situation auf den Höfen hat sich deutlich verschlechtert, und zwar nicht nur die der Tierhalter*innen, sondern auch bei den Ackerbauer*innen, denen die Dürre der letzten zwei Jahre stark zugesetzt hat.
Und wo kommt die Frustration her?
Die Versprechungen, die man den Bäuer*innen gemacht hat, haben sich nicht erfüllt. Die wachsende Weltnachfrage nach Nahrungsmitteln sollte die wirtschaftliche Situation auf den Höfen verbessern. Als dies nicht eintrat, haben viele gedacht, wenn man morgens noch eine Stunde früher aufsteht und alles macht, was man in der Landwirtschaftsschule gelernt hat, dann überlebt man und die Kinder können den Betrieb übernehmen. Auf vielen Betrieben reicht es aber jetzt schon finanziell und kräftemäßig nicht mehr. Viele Landwirt*innen sehen keinen Ausweg. Zu der wirtschaftlichen Zukunftsangst kommt noch das Ohnmachtsgefühl. Die Gesellschaft sagt: ändere doch einfach mal deine Tierhaltung und wie du dein Getreide anbaust - aber der finanzielle Spielraum dafür ist auf den meisten Höfen gar nicht da.
Woher kommt die späte Erkenntnis der CDU, die Probleme zumindest mal beim Namen zu nennen?
Auch Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner weiß, dass sich Landwirtschaft verändern muss, damit Deutschland seine Klimaziele erreichen und seine Auflagen zum Gewässerschutz erfüllen kann und Tierhaltung so gestaltet wird , dass die Gesellschaft sie weiterhin akzeptiert. Auch die Kanzlerin hat kürzlich beim Agrargipfel klar gemacht, dass es ohne eine engagierte Düngeverordnung nicht weiter geht. Wenn die CDU weiter von der Stadtbevölkerung gewählt werden will, hat sie keine andere Wahl, als Veränderungen voran zu treiben. Schlimm für die Bäuer*innen ist, dass sich die CDU nicht traut, die Probleme an der Wurzel zu packen – Wasch mich, aber mach mich nicht nass! Wenn man weiter auf Freihandel, „immer billiger und mehr“ und eine starke Exportorientierung setzt, wird die Symptombekämpfung noch jahrzehntelang weitergehen – zum Schaden der Bäuer*innen und all derer, die sich eine nachhaltige Landwirtschaft wünschen. Wir brauchen eine Systemveränderung und eine andere Ausrichtung der Agrarpolitik.
Was steht jetzt an, damit der Frust in der Landwirtschaft in etwas Positives gewandelt werden kann?
Wir Bäuer*innen müssen wieder ins Handeln kommen und den Dialog innerhalb und außerhalb der Landwirtschaft führen. Es bilden sich Blöcke, aber man spricht nicht miteinander. Wir müssen vor allem raus aus der Opferrolle, weil das lähmt. Wie kann es sein, dass Bäuer*innen ein System verteidigen, das verhindert, dass sie nach guter fachlicher Praxis wirtschaften und dazu führt, dass sie ihre eigenen Werte nicht mehr leben können? Die Bäuer*innen sollten es jetzt nicht am Ende allein dem Bauernverband überlassen, die inhaltlichen Verhandlungen zu führen. Bäuer*innen müssen für sich selbst formulieren, was sie wollen und was es braucht um dies umzusetzen. Damit müssen sie in den Dialog mit Politik und Gesellschaft gehen. Je mehr sich einbringen, desto besser, denn Landwirtschaft ist vielfältig!
Seit 2005 haben nicht nur ein Drittel der Höfe dichtgemacht, sondern seitdem gab es nur Agrarminister*innen von der CDU/CSU. Gleichzeitig behaupten Teile der Landwirtschaft, Bauernbashing und Umweltschutz seien schuld am Höfesterben. Wie passt das zueinander?
Ja, das stimmt. Nach den vielen Jahren Unions-Agrarpolitik geht es den Betrieben heute ziemlich schlecht. Viele Bäuer*innen sagen: Wenn das Agrarpaket kommt, ist endgültig alles vorbei. Aber die Probleme, die die Höfe schon heute haben, sind nicht durch das verursacht worden, was in Zukunft erst noch kommt.
Als Wir haben es satt!-Bewegung führen wir seit 10 Jahren den Dialog zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft und entwickeln gemeinsame Vorschläge für eine enkeltaugliche Landwirtschaft. Ist das der richtige Weg?
Das Wir haben es satt!-Bündnis weiß, dass man die Landwirt*innen nicht zwingen kann. Es sind die Bäuer*innen, die auf den Flächen wirtschaften, also geht es nur mit uns. Veränderung kann nur über den Dialog und das Aufzeigen von echten Alternativen und umsetzbaren Lösungen herbeigeführt werden. Dazu braucht es einiges an Kompromissbereitschaft auf beiden Seiten. Im Moment wird es für das Bündnis – in dem Maße wie der Frust in der Landwirtschaft steigt – schwieriger, etwas in Bewegung zu bringen. Bisher gab es beispielsweise im Naturschutz besonders im Bereich Grünland und Weidehaltung gute Projekte zwischen Gesellschaft und Landwirt*innen. Das aktuelle Klima macht solche Zusammenarbeit schwieriger. Der Aufbau von Feindbildern hat zugenommen. Das mag Verbände nach innen zusammenschweißen. Aber nach außen spaltet es die Gesellschaft. Das sollten wir nicht zulassen.
Und was ist dein Rat an die Wir haben es satt!-Bewegung mit Blick auf die Proteste von „Land schafft Verbindung“?
Es braucht jetzt viel Einfühlungsvermögen und Mut, um auf die Bäuerinnen und Bauern zuzugehen und den Dialog zu führen. Ich glaube, es ist es wichtig gewesen, dass der Frust jetzt mal rauskommt. Denn die Frustration kommt auch daher, dass die Politik nicht handelt – weder in die eine noch in die andere Richtung. Das muss sich ändern. Also lasst euch nicht entmutigen, fordert die Politik ihrer Verantwortung nach zu kommen und zu handeln und geht vor allem weiter auf die Bäuer*innen zu!
Du hast ja vor zwei Jahren auf unserer Demo gesprochen, können wir am 18.1. wieder mit dir rechnen?
Auf jeden Fall! Auch wenn ich nicht die ganze Zeit bleiben kann, denn wir haben nachmittags unser großes Milchviehhalter-Symposium. Aber ich werde mir auf jeden Fall anhören, was die ersten Redner*innen zu sagen haben und hoffentlich mit einigen Teilnehmer*innen ins Gespräch kommen. Für mich ist die Demo ein wichtiger Stimmungsmelder dafür, was die Menschen denken und was sie bewegt. Das ist wichtig für unsere Arbeit im Verband und auf den Höfen. Bei der Wir haben es satt!-Demo kommen schließlich sehr viele Menschen zusammen, weil ihnen Landwirtschaft wichtig ist – das finde ich gut.
Das Interview mit der Milchbäuerin Kirsten Wosnitza wurde im Vorfeld der "Wir haben es satt!-Demo" von der Redaktion der Kampange meine landwirtschaft geführt.
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