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Hauen und Stechen am Milchmarkt

Die Milchparty von 2022 ist zu Ende. Brachial ist die Stimmung am Milchmarkt gekippt. Noch im Dezember lag der Erzeuger*innenpreis im Schnitt bei knapp 60 ct/kg. Im Februar fiel er auf 52,4 Cent, im März deutlich unter 50 Cent – Tendenz weiter stark fallend. Marktexpert*innen erhoffen im Frühsommer noch eine „vier“ vorne. Sicher ist das nicht. Denn die Börsenwerte für Milchpulver (Eiweiß) und Butter (Fett) als Frühindikator der nächsten Monate liegen im April bei 39,9 ct/kg. Und am Spotmarkt, wo Molkereien untereinander Milch handeln, werden gerade noch 30 Cent gezahlt.

Hintergrund ist zum einen die Talfahrt der Milchpreise auf dem Weltmarkt, vor allem weil China als größter Milchimporteur seine Einfuhren zurückgefahren hat. Aber die Preise auf den globalen Märkten hat die Kauflaune abgebrochen. Besonders im ersten Halbjahr 2022 war der Preis um 40% und mehr gestiegen, danach nur sehr langsam abgeflaut. In der Folge konnten die exportorientierten großen Molkereikonzerne ihre Einkaufspreise steigern, zahlten „jeden Preis“, um an Milch für den Export zu kommen. Besonders die Großmolkereien im Norden und Nordwesten, die sonst in der Preistabelle hinten liegen, sprangen auf einen Spitzenplatz. Der größte deutsche Milchkonzern „Deutsches Milchkontor“ (DMK, Bremen) rollte sozusagen von unten die gesamte Konkurrenz auf und zahlte von August bis Dezember fast 60 ct/kg aus. Die Exporteure hatten die „Marktnase“ vorn, während die heimischen Marktbeschicker mit dem LEH um jeden Cent und um jeden Liter streiten mussten.

Aber nicht nur der globale Markt drehte sich. Monatelang hatten die Milcherzeuger*innen ihre Produktion nicht gesteigert. Aber mit den Rekordpreisen war die Disziplin dahin. Fast 3% wurde in den letzten Monaten mehr erzeugt. Gleichzeitig führte der starke Anstieg der Verbraucher*innenpreise (Butter kostete zeitweilig um die 3 Euro pro Paket) zur Kaufzurückhaltung. Mehr Produktion und weniger Absatz bei rückläufigem Exportventil – das konnte nicht gut gehen.
 

Absturz des Erzeugerpreises

Seit Jahresanfang stürzt der Markt geradezu ab. Die Ankündigungen der Milchwirtschaft zu Weihnachten, der Preis würde sich zwischen 50 und 55 Cent im ersten Halbjahr einpendeln, ist schon im März nur noch Makulatur. DMK zahlte noch 43,1 Cent wie andere Molkereien im Norden. Im Westen und Osten liegt der Preis zwischen 46 und 48 Cent, im heimatmarkt- und markenorientierten Süden noch um die 50 Cent. Alle kündigen im April einen weiteren Rückgang Richtung 40 Cent an. Obwohl noch viele Preise mit dem LEH vertraglich geregelt und stabil sein müssten, fallen auch die Verbraucher*innenpreise - um den Absatz anzuregen, wie es heißt. Butter wird schon im Preiseinstieg für 1,49 € pro Packung angeboten. Auch andere Produkte laufen breit in Aktionen. Aber der Handel - so Marktexpert*innen - verdient noch gut. Der Anstieg der Lebensmittelpreise lag im März bei 20%, deutlich über der allgemeinen Inflationsrate. Während die Molkereien zusehen, wie sie die Übermilch und den Absatz- und Preisrückgang mit ihren Kosten in Einklang bringen und heftig an der Erzeugerpreisschraube nach unten drehen, haben die Milchbäuerinnen und -bauern wenig Möglichkeiten, die schlechteren Erlöse weiterzugeben. Ihre Kosten werden nicht mehr ausreichend gedeckt und man wird wohl noch eine Zeitlang von den Reserven des Ausnahmejahres 2022 leben müssen. Die Hoffnung des Milch-Board Vorsitzenden Frank Lenz, 2022 sei das „neue normal“, platzt gerade und das „alte normal“ mit nicht auskömmlichen Erzeugerpreisen scheint sich wieder einzustellen.
 

Unterschiedliche Lernerkenntnisse: Weltmarktstrategien ...

Was lernt wer aus diesem „verrückten“ letzten Jahr? Die Hoffnung mancher Milchfunktionär*innen, dass die Bäuerinnen und Bauern freiwillig Mengendisziplin halten und trotz blendender Erzeuger*innenpreise ihre Produktion nicht steigern, hat sich – erwartungsgemäß – nicht erfüllt. Der Markt hat zurückgeschlagen. Hohe Milchpreise in Inflationszeiten bei prinzipiell gesättigtem Markt sind nur bei knappem Angebot zu realisieren – nicht bei Übermilch.

Bei den Molkereien scheinen die Erkenntnisse je nach Größe, Marktposition usw. unterschiedlich. Manche Großmolkereien einschließlich des Milchindustrieverbandes fühlen sich bestärkt, dass der Weltmarkt die entscheidende Größe ist. Tatsächlich waren die Exporteure die Gewinner des Boomjahres. Deshalb hofft man auf weltweite Signale, auf ein Anspringen des globalen Marktes. Die internationale Wirtschaft möge wieder wachsen, China möge mehr importieren, Neuseeland weniger und teurer erzeugen usw. Für sie ist der Milchmarkt nur noch global zu denken, nur dort besteht ein Wachstumspotential. Eine stärkere Orientierung auf nähere Märkte ist für sie ein Rückschritt. Wachstum in aller Welt ist ihr Credo. Schon Europa mit seinem verteilten Markt halten sie für keine Wachstumsstrategie. Eine Orientierung auf den heimischen Markt bezeichnen sie sogar als unsinnig und aus der Zeit gefallen. Deshalb wehren sie sich leidenschaftlich gegen eine staatliche Herkunftszeichnung („deutsche Milch“) – zum Verdruss des Bauernverbandes und vieler Milcherzeuger*innen und entgegen wachsenden Wünschen des Einzelhandels. Besonders Bauernfunktionäre in den Genossenschaftskonzernen stehen dabei in einem echten Dilemma, aber wie sagt schon eine alte Bauernweisheit: Keiner kann zwei Herren dienen!
 

„Regionale“ Markenstrategie – Beispiel Berchtesgadener Land

Kleinere und mittlere Molkereien vertreten häufig eine andere Strategie. In einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ hat jetzt der Geschäftsführer der Berchtesgadener Molkerei, Bernhard Pointner, seine Erkenntnisse des letzten Rekordjahres und seine strategischen Überlegungen erklärt. Im Kern gehe es ihm um die Konzentration auf die Marke und die langfristige Bindung der Kunden. Das sei im letzten Jahr schwierig gewesen. Die hohe Nachfrage am Weltmarkt habe die Erzeugerpreise nach oben getrieben. „Wir wollten langjährige Stammkunden und Partner im Handel nicht vergraulen. Einem Großkonzern mag es egal sein, in welche internationalen Vertriebsschienen die Milch fließt. Wer global im Geschäft ist, liefert dorthin, wo es das meiste Geld gibt.“ Für seine Molkerei sei das keine Option. „Wir sind nicht am Weltmarkt tätig. Haben wir die Kunden und Handelspartner erst einmal vergrault, haben wir ein Problem.“ Man habe deutlich gemacht, dass man an langfristigen Beziehungen interessiert sei. In der Konsequenz hat man bis zum Herbst den Preis auf 53 Cent angehoben, die Preisrallye ab September aber nicht mehr mitgemacht. Damit rutschte der Auszahlungspreis im November 5 bis 10 Cent unter die Konkurrenz. Der Erklärungsbedarf bei den Erzeuger*innen war hoch. „Unsere Milchlieferanten sind meist Landwirte in Bergregionen, oft im Nebenerwerb. Die kommen mit solch brutalen Preisschwankungen nicht klar. Mein Job ist es, für Kontinuität zu sorgen.“ Größere Molkereien hatten plötzlich „eine super Verhandlungsposition“, die sie auch genutzt hätten. „Ich habe zu unseren Bauern gesagt, wenn dieses Pendel zurückschlägt, schadet uns das mächtig, bitte lasst uns vernünftig bleiben.“ Das habe die große Mehrheit der Landwirte verstanden. Die mittelständische Molkerei mit 300 Mio. € Umsatz sei ein „Winzling auf dem Markt“. Er könne seine Abnehmer*innen nicht vor den Kopf stoßen, ohne dass es Konsequenzen habe. „Ein Einkäufer aus dem Handel ist es gewohnt, dass er hofiert wird. Der hat nun mit manchen Molkereivertretern, die besonders hart aufgetreten sind, eine Rechnung offen.“ Und „wir haben uns im vergangenen Jahr mit Preiserhöhungen zurückgehalten. Das kommt uns nun zugute.“

Zugleich hat man vorübergehend alle Investitionen zurückgefahren, aber die Lieferketten gestärkt (eigener Fuhrpark, Vorsorge bei Glasflaschen, Energie usw.). Aber noch hält die Milchmarktkrise an. Ob der Handel die Zurückhaltung belohnt - abgerechnet wird wohl erst am Ende des Jahres.

Auch bei den Berchtesgadenern ging im März der Milchpreis um 3 Cent zurück, aber mit 50,4 ct/kg liegt man bayernweit auf Konkurrenzhöhe und bundesweit wieder über dem Schnitt von etwa 48 Cent. Die meisten Milcherzeuger*innen haben offensichtlich die regionale und Markenstrategie mitgetragen, obwohl Handelsmarken die Molkereimarken aktuell stark verdrängen. Von 1800 Mitgliedern habe man neben dem normalen Betriebsaufgaben von 30 bis 40 Erzeuger*innen etwa 10 zusätzlich verloren, die zu Nachbarmolkereien abgewandert sind. Aber inzwischen kommen wieder andere dazu. „Das sehe ich mal als ein Zeichen, dass wir manches richtig machen,“ so Pointner.

Nicht alle sehen das so. Bei Schwarzwaldmilch haben gerade 24 (größere) Milchviehbetriebe mit 28 Mio. kg gekündigt und sind zu Omira (gehört zum französischen Konzern Lactalis) gewechselt. Die zahlen 2 Cent mehr pro Liter Milch. Das sind bei 1 Mio. kg Milch immerhin 20.000 € im Jahr, aber erhöht natürlich die Stückkosten der Molkerei. Die Wechselbereitschaft steigt in volatilen Jahren – auf Kosten der Solidarität. 

Der Marktbeobachter weiß, dass extreme Jahre für alle Seiten sehr anstrengend, aber auch lernintensiv sind. Für Bäuerinnen und Bauern mögen sie auf den ersten Blick verführerisch erscheinen. Endlich sind sie mal dran. Jetzt muss man zugreifen. Das ist verständlich, aber auch riskant. Sprunghafte Märkte sind etwas für Spekulant*innen, selten für Erzeuger*innen am Ende der Wertschöpfungskette. Kontinuierliche, kalkulierbare, kostenorientierte Preise erleichtern die Planung auf den Höfen. Eigentlich wollen doch alle Landwirt*innen Planungssicherheit. Das letzte Jahr war eher ein Jahr der „individuellen Geschäftemacher*innen“ bei Getreide und Vieh. Steht die Landwirtschaft auch an einer Zeitenwende?


Dieser Text von Hugo Gödde ist zuerst bei der Unabhängigen Bauernstimme erschienen.